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Eintrag vom 3. September 2017

Anfang September, und das Wetter wird herbstlich - dabei geht es auf die Endphase des Wahlkampfs zu. Als ich mit meiner "Black Pearl" unterwegs war um unsere Wahlplakate in den Ortschaften aufzuhängen (und feststellen musste, dass wir uns wieder mal als einzige an die Plakatierungsvorschriften der Gemeinden halten, während andere Parteien diese Vorgaben geflissentlich ignorieren) hatte ich noch Glück im strahlenden Sonnenschein.
Gestern bei unserem ersten Infostand in Augsburg schlug das Herbstwetter dann zu. Windig bei Temperaturen von bestenfalls 15 Grad und immer wieder nasskalte Regenschauer machten die Öffentlichkeitsarbeit für uns zu einem etwas weniger angenehmen Vergnügen.

 

Wir standen allerdings nicht allein vor diesem Problem, denn zeitgleich hatten sich die SPD und die AfD entschlossen, ebenfalls im Bereich der Bahnhofstraße am Rande des Königsplatzes Infostände abzuhalten. Wir Piraten waren schon augenscheinlich die Underdogs - die SPD kam mit ihrem feuerroten "Bahrmobil", und die AfD hatte gut und gerne die doppelte Standbesatzung zur Verfügung.
Wir nahmen die Herausforderung an und bewiesen bei weitem mehr Durchhaltevermögen - während die AfD bereits nach dem ersten kräftigen Regenschauer ihren Tisch mitsamt Sonnenschirm einpackte beschloss auch die SPD gegen 15:30 Uhr die Arbeit einzustellen. Wir hingegen standen die gesamte für uns genehmigte Zeit bis 17:00 Uhr für Fragen und Diskussionen der Passanten zur Verfügung.

Was mich besonders gefreut hatte war, dass tatsächlich viele Leute zu uns an den Stand kamen. Und zwar nicht nur wegen der Kugelschreiber, Feuerzeuge und Schlüsselanhänger - die "Jäger und Sammler" (im Fachjargon auch als "Beutelratten" bekannt) waren eindeutig in der Minderheit. Aus diesem Grund liebe ich die Parteiarbeit auf der Straße, da spielt die Witterung keine Rolle mehr.
Unsere Besucher entstammten so gut wie allen Altersklassen, vom Jugendlichen bis zur Großmutter. Es kamen Leute, die sich nur Flyer und unser Programm geben lassen wollten, aber einige wollten uns auch direkt zu den für sie besonders drängenden politischen Punkten befragen. Wir bekamen sogar zweimal Besuch von britischen Touristen, die wir bei dieser Gelegenheit auf unsere englischen Kollegen von der Pirate Party UK aufmerksam machen konnten. Von der netten Lady wurde uns auch die - mittlerweile obligatorische? - Frage gestellt, wie wir denn zu "Hitler" stehen würden - vielleicht waren sie zuvor durch die Wahlkämpfer von der AfD angesprochen worden?

"Na, gibt es Euch immer noch?" wurden wir gefühlt von fast jedem zweiten Besucher gefragt - naja, wenn es uns nicht mehr gäbe, würden wir ja nicht hier stehen, oder? Viele äußerten Bedauern darüber, dass von uns Piraten medial so wenig zu hören sei - auch hier konnten wir nur auf unsere Arbeit verweisen, die wir leisten, ohne dass wir jedoch die Möglichkeit hätten eine Berichterstattung zu "erzwingen". Wir können nur für unsere Themen, die wir vertreten, einstehen und uns für deren Umsetzung einsetzen. Es liegt am Bürger, sich für Politik zu interessieren.
Dieser Punkt war ein eifrig diskutierter - wie erreicht man den Bürger, und warum beschränken die meisten Deutschen ihr eigenes politisches Engagement auf ein Kreuzchen auf einem Wahlzettel, einmal alle vier Jahre? Wir versuchten den Passanten zu vermitteln dass eine Demokratie mehr als nur Wählen ist - diese Passivität der vergangenen Jahrzehnte hat das Gefühl der amtierenden Politiker, Herrscher über das Volk zu sein, ja geradezu beflügelt. Statt dessen sollten wir uns auch über den Wahltag hinaus einmischen, den Regierenden auf die Füße (oder in den Hintern treten) und sie daran erinnern, dass sie nur unsere Angestellten sind.

Nach unseren Kernthemen befragt wiederholten wir das Altbekannte: Bürgerrechte, politische Transparenz, Demokratie und eine Rückabwicklung des schrittweise etablierten Überwachungsstaates. Themen, die nicht so laut, schrill und populistisch sind wie andere propagierte Maßnahmen, und von denen sich viele Bürger leider nicht so richtig betroffen wähnen. Schlimm dabei ist, dass Kameras, Bundestrojaner und Vorratsdatenspeicherung bestenfalls dazu geeignet sind, das individuelle "Sicherheitsgefühl" zu erhöhen, aber sie bieten keinen wirklichen Schutz - bestenfalls schärfere Bilder vom Tatort - sondern schaffen im Gegenteil dazu Einschränkungen unserer Grund- und Freiheitsrechte mit darüber hinaus gehenden, unabsehbaren Folgen für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung.
Was die Sicherheit betrifft, so gibt es jedenfalls deutlich wirkungsvollere Maßnahmen. Wir haben davon an unserem Stand viele an unsere Besucher verteilt, manches Mal sogar unabsichtlich - als ein kleines, vielleicht sechsjähriges Mädchen am Tisch auftauchte und sich mit einem raschen Griff aus dem Kondom-Karton bediente hatte es sich vermutlich eher ein Bonbon erhofft. Die Eltern, die nicht an unseren Stand gekommen waren, werden sich unter Umständen über den "Fang" ihres Töchterchens gewundert haben... ich hoffe, sie sind deswegen nicht in eine peinliche Erklärungssituation gekommen und nehmen uns die Angelegenheit nicht übel...

Unser "Dilemma" ist auch, dass sich die Leute aktuell wieder mit ganz anderen Problemen auseinander setzen, die aber zum Großteil zu Wahlkampfzwecken aufgebauscht worden sind - so ist das Problem der Stickoxide bei Dieselmotoren seit Jahren bekannt, wird aber nun wieder künstlich hochgekocht. Die eigendliche Feinstaubproblematik, die sich durch den Individualverkehr und Industrieanlagen in unserem Land ergibt, kann nicht über Fahrverbote einzelner Automodelle gelöst werden. Aber es ist halt so ein schöner plakativer Aufreger, über den sich die politischen Parteien echauffieren können. Und wenn es schief gehen sollte, hat man ja schon eine passende Erklärung parat...
Ein weiterer Diskussionspunkt ist das Thema "Flüchtlinge und Asyl" und hier zeigte sich in den Gesprächen, wie wenig manche Leute tatsächlich über die Probleme, denen Asylsuchende in Deutschland gegenüberstehen, wissen - sie verlassen sich viel lieber auf möglichst breit gestreute Gerüchte und Vorurteile wie die berümte Ente, dass Landratsämter Supermärkten "Schweigegeld" bei Diebstählen durch Asylbewerber zahlen würden. Auf diese Weise bilden sich schnell Vorurteile, die sich auch mit Insiderwissen (meine Frau und ich sind seit über zwei Jahren selbst in der Flüchtlingshilfe aktiv) nur schwer widerlegen lassen.

Abschließend wurden wir noch gefragt, wer als Bundeskanzler uns denn lieber wäre: Herr Schulz oder Frau Merkel?
Nun, für mich persönlich macht das wenig Unterschied: beide Parteien haben sich in ihren Programmen so weit angenähert, dass die SPD eigendlich mit der CDU fusionieren könnte. Herr Schulz schleppt den Malus seiner "Bauchschmerzen-Partei" mit sich herum, die bekannt dafür ist erst dagegen zu sein und am Ende dann doch umzufallen und zuzustimmen - erinnert sich noch jemand an die letzte Erhöhung der Mehrwertsteuer und wie die SPD aus 16 + 0 am Ende eine 19 gemacht hat?
Was Frau Merkel betrifft, so hat sie das "Kohlsche Aussitzerprinzip" perfektioniert und weiß dass der deutsche Michel sie mit einer ausreichend großen Mehrheit wiederwählen wird, wenn sie ihm nur das Märchen von Stabilität, Sicherheit und Wohlstand als Gutenachtgeschichte erzählt. Sie präsentiert sich auf allen verfügbaren Kanälen als alternativlos, ohne jedoch wirklich einen Plan zu haben.

Deswegen würde ich es bevorzugen, zur Abwechslung mal ein wenig frischen Wind im Bundestag zu sehen: Angeordnete, die sich nicht durch Fraktionszwang Fraktionsdisziplin in ihrem Abstimmungsverhalten beschränken lassen, sondern ihrem Gewissen folgen. Menschen, die für ihre Ziele mit Rückgrat einstehen. Politiker, die sich als Vertreter ihrer Wähler und nicht als ihre Herrscher verstehen.
 
Deswegen stehe ich hier auf der Straße am Infostand. Egal wie schlecht die Chancen für uns Piraten sind, in den Bundestag einzuziehen - wir versuchen es, wir kämpfen dafür. Nur so können wir irgendwann auch erfolgreich sein.
 
Wer uns besuchen und uns Fragen stellen möchte: unser nächster Infostand wird nächsten Samstag am Welserplatz in der Annastraße in Augsburg von 10:00 Uhr bis 17:00 Uhr aufgebaut.

"Aller Anfang ist schwer - alles Durchhalten schwerer."

Ernst Reinhardt