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Eintrag vom 19. August 2017

Oft in Liedern besungen und rezitiert, schiebt man im Alltag eine wichtige Erkenntnis oftmals unbeachtet beiseite:
 
"You never miss it, until it's gone away" - erst wenn man es verloren hat bemerkt man, was man vermisst.
 
Derzeit befinde ich mich in einer solchen Situation, da seit mittlerweile fast zwei Wochen mein Internetprovider aus "technischen Gründen" meinen DSL-Anschluss nicht zur Verfügung stellen kann und auch nicht in der Lage ist, das Problem genau zu benennen. Während der Router einen hervorragenden Leitungsdurchsatz vermeldet und auch in der Lage ist, externe IP-Adressen anzupingen, rauscht die VOIP-Telefonie erbärmlich und kein einziges Bit kommt auf meinen angeschlossenen Rechnern an.
Ein technisches Versagen meines Routers, bereits beim ersten Telefonat mit der in Sachen IT hilflos überforderten Supportmitarbeiterin angesprochen, steht angeblich nicht zur Debatte. Mit ist bewusst, dass in diesen Call-Centern ganz arme Schweine sitzen, die auf 450 Euro Basis ohne fachliche Kompetenzen vom Job-Center mit der Drohung, den dringend benötigten Harz-IV-Zuschuss rückwirkend für drei Monate zu streichen, hinter das Head-Set gezwungen werden. Aber - was nützt mir das jetzt in meiner Situation?

Die Witze von Freunden, es gäbe vielleicht Probleme bei Vodafone mit der Implementierung der Vorratsdatenspeicherung für meinen Anschluss, beginnen irgendwann nicht mehr ganz so schal zu klingen. Andererseits weiß ich natürlich um die Motivationslage der Internetanbieter, bei denen grundsätlich der eigene Umsatz vor der Verbindungsqualität und Kundenbetreuung steht. Vor meinem Wechsel zu Vodafone war ich bei der Telekom, und da war es ehrlich gesagt kein Deut besser. Mein derzeitiger Favourit Space-Net (die haben vor Gericht die Aussetzung von der Vorratsdatenspeicherung für sich erstritten) bietet in meiner Wohngegend leider keine Anschlüsse an.
Bevor ich mich also in Verschwörungstheorien übe konzentriere ich mich lieber auf das Wesentliche, nämlich den mittlerweile offiziell eingeläuteten Wahlkampf. Dass eine fehlende Internetverbindung hier besonders lästig ist, versteht sich von selbst. Ich flüchte mich sporadisch zu Verwandten mit einem noch funktionierenden Draht in das WorldWideWeb, um wenigstens hin und wieder meine Emails abrufen und organisatorische Vorbereitungen für Infostände und Aktionen treffen zu können.

Eine gute Versorgung mit offenen WLan-Hotspots käme mir jetzt natürlich sehr gelegen, aber erstens ist da in meiner ländlichen Wohngegend noch ein verdammt langer Weg zu gehen, und zweitens hat der Gesetzgeber den Fallstrick der "Störerhaftung" trotz angeblich großer Bemühungen nur unzureichend beseitigt, so dass jeder Anschlussinhaber gut beraten ist, sein eigenes WLan nicht ungesichert Dritten zur Verfügung zu stellen. Und so bleibt uns in Deutschland auch weiterhin das verwehrt, was in einem Großteil der restlichen Welt bereits Gang und Gäbe ist: ein freies Internet.
Nicht, dass es nicht Bemühungen gäbe hier Abhilfe zu schaffen, die digitale Sippenhaft zu verbieten und mit alternativen Verwertungsmodellen dennoch den Kunst- und Kulturschaffenden die Möglichkeit auf ein Einkommen zu bewahren... aber wer wählt schon die Piraten?

Der fehlende Internetzugang führt mir aber noch ein weiteres Problem unserer heutigen Gesellschaft deutlich vor Augen: unsere Abhängigkeit von der Verfügbarkeit digitaler Informations- und Kommunikationswege, in die wir uns begeben haben. Der Hauptteil meiner Kontakte, ein Grundstock meiner Arbeit und der überwiegende Anteil bei meiner Informationsbeschaffung erfolgt über das Internet. Nachdem die meisten Zeitungen ein und die selben Agenturmeldungen Wort für Wort abschreiben und auch die deutschen Rundfunk-Nachrichten sich auf weitestgehend identische Berichterstattungen beschränken habe ich es mir zur Angewohnheit gemacht, selbst zu recherchieren, um vielfältige Informationen aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu erhalten. Seit dem Internetausfall läuft bei mir zu Hause also wieder häufiger der Fernseher, und Tagesschau24 wechselt sich mit der englischsprachigen Ausgabe von AlJazeera ab.
So wie mir geht es den Menschen in vielen anderen Ländern auch - nur dass dort die Nachrichteninhalte extrem gefiltert und die Internetverbindungen mit Hilfe deutscher Überwachungstechnologien kontrolliert, beschränkt und zensiert werden. Und was in den allgemeinen Nachrichten selbst bei uns nicht so oft erzählt wird: der Einsatz solcher Technologien ist auch bei uns in Deutschland geplant. Zum Beispiel, um Hasspostings im Internet zu unterbinden, oder Propaganda von Terroristen zu verhindern. Nette Begründungen, gegen die der Durchschnittsbürger kaum Protest erheben wird, aber diese Technologien haben das Potential, auch den freien Informationsfluss generell zu beschränken oder zu steuern. Es ist ein schleichender Prozess, der von einer Demokratie in eine Diktatur führt, und deswegen sollte man überhaupt nicht erst den ersten Schritt in diese Richtung machen.
Es gibt Stimmen, die auch bei uns vor einer solchen Gefahr warnen und die immer weiter ausufernden Begehrlichkeiten von Ermittlungsbehörden, Geheimdiensten und Sicherheitsministern in ihre Schranken verweisen wollen... aber wer wählt schon die Piraten?

Wir nehmen in unserem Land viel zu viel als gegeben und ewig während hin: unsere Grundrechte, unsere Freiheit, unsere demokratische Mitbestimmung, das Recht der Rede- und Versammlungsfreiheit, die Religions- und Glaubensfreiheit, die Privatsphäre einer vor staatlichen Einblicken geschützten Kommunikation oder die Unverletzlichkeit der eigenen Wohnung.
All diese Rechte wurden jedoch im Verlauf der vergangenen Legislaturperioden immer weiter beschnitten und abgeschafft: der Staat misstraut seinen eigenen Bürgern, überwacht sie mit Hilfe der Funkzellenabfrage, der Vorratsdatenspeicherung, dem Staatstrojaner, er belauscht die Telefonate, liest die Emails mit, installiert Überwachungskameras im öffentlichen Raum und experimentiert mit automatisierter Gesichtserkennung. Weder Honneckers Staatssicherheit noch Orwells alptraumhafte Visionen reichen an die Möglichkeiten heran, mit denen uns Regierung, Politiker und Geheimdienste heute überwachen und ausspionieren oder dies zumindest versuchen wollen.
Ist es wirklich zu unserer eigenen Sicherheit, wenn der alkoholisierte Gewalttäter in der U-Bahn dabei gefilmt wird, wie er eine Frau die Treppe hinunter wirft? Ist es wirklich zu unserer eigenen Sicherheit, wenn Geheimdienste uns und unsere politischen, religiösen oder weltanschaulichen Einstellungen auf mögliche Abweichungen durchleuchten, um uns rechtzeitig als einen potentiellen Gefährder zu kategorisieren und in Schutzhaft vorbeugenden Gewahrsam nehmen zu können? Und ist es nicht fahrlässig, wenn wir den in diesen "Diensten" tätigen Menschen die Werkzeuge zu einer umfassenden Überwachung in dem Glauben überlassen, sie würden dies ja alles nur zu unserem eigenen Wohl tun?
Eine Demokratie kann nur funktionieren, wenn die Bürger des Staates ihre Regierung und die staatlichen Institutionen kontrollieren. Die Tat eines Einzelnen kann nicht an den Schaden heranreichen der entstehen kann, wenn Regierungen oder ihre Behörden die Rechte der Bürger in ihrem Land verletzten. Wir sehen derzeit in Venezuela, in der Türkei, aber auch in Staaten der Europäischen Union wie Polen oder Ungarn, wie leicht ein solcher Umsturz von oben erfolgen kann oder Vorbereitungen dazu getroffen werden.
Dabei gibt es Menschen, die vor einer solchen Entwicklung warnen und für mehr Bürgerbeteiligung, Freiheit und Grundrechte eintreten... aber wer wählt schon die Piraten?

Diese Frage konnte ich gestern auf dem Diskussionsforum zur U18-Wahl in Ustersbach diskutieren. Neben Vertretern von der CSU, der SPD, der Grünen, der Linken, der ÖDP, der FDP und der AfD saß ich auf dem Podium und beantwortete die Fragen der Kinder und Jugendlichen. Diese hatten zu verschiedenen Themen vorab einen Fragenkatalog erstellt und zu jeder Frage hatten wir jeweils ca. 2 Minuten Zeit um sie - möglichst verständlich - zu beantworten.
Wie immer bei diesen Terminen bin ich am Anfang ziemlich nervös, habe mich aber unglaublich gefreut zu sehen dass - trotz des anfänglich immer noch sehr schönen Wetters - zwischen 40 und 50 Gäste zu der Veranstaltung gekommen waren, darunter auch einige Eltern. Politik ist für Kinder und Jugendliche zuweilen nichts als ein abstraktes Feld und das Interesse an Parteien hält sich in diesem Alter normalerweise in engen Grenzen. Es haben sich jedoch auch nach dem Redeslot an den von den Kindern vorbereiteten Tischen interessante Gespräche und Diskussionen ergeben und die Anwesenden, mit denen ich gesprochen habe, waren durchwegs interessiert und überrascht, dass wir Piraten trotz schlechter Umfragewerte nicht nur immer noch in der Politik mitmischen wollen, sondern auch so ganz anders sind als der zurzeit vorherrschende öffentliche Eindruck.

 

Auch mit den Veranstaltern vom örtlichen Jugendring ergaben sich gute Gespräche. Ich fand es bemerkenswert zu hören, dass bei der Vorbereitung der Veranstaltung die Kinder und Jugendlichen sich intensiv mit den Programmen der einzelnen Parteien auseinandergesetzt hatten. Zu jeder Partei wurde ein Tisch zum Auslegen von Informationsmaterial vorbereitet und mit einem Plakat geschmückt, auf dem die wesentlichen Ziele der jeweiligen Partei aufgelistet wurden. Und wir Piraten haben bei diesem Vorab-Check allem Anschein nach ziemlich gut abgeschnitten - die Betreuerin berichtete mir dass immer wieder die Frage aufkam:
 
"Die Piraten haben ja echt gute Ideen - warum wählt die eigendlich keiner?"
 
Vermutlich weil Kinder und Jugendliche bei uns in Deutschland nicht wählen dürfen und nur an leider unmaßgeblichen Veranstaltungen wie der U18-Wahl teilnehmen können. Die meisten wahlberechtigten Erwachsenen geben Ihre Stimme aus reiner Gewohnheit immer der gleichen Partei, lassen sich von Wahlversprechen der Politiker blenden oder mit hohlen Phrasen ködern. Wer sich aber mit den Inhalten der Parteien beschäftigt, der wundert sich oftmals dass auch kleine Gruppierungen wie die Piratenpartei durchaus eine gute Alternative darstellen können. Reines Protestwählen ist jedenfalls genauso schlecht wie eine taktische Stimmabgabe.

Was mir am gestrigen Abend besonders wichtig war zu betonen: Demokratie ist mehr als nur zur Wahl zu gehen. Demokratie muss durch die Bürger selbst gelebt werden. Es ist fahrlässig darauf zu vertrauen, dass man anderen Menschen seine Stimme gibt und diese dann nur gemäß des Wählerauftrags handeln. Politiker müssen kontrolliert und auf ihre Fehler hingewiesen und immer wieder an ihren Auftrag erinnert werden. Um eine gute Politik zu bekommen muss man sich eben aufraffen und selber ein wenig Politik machen.

Die Grundlage dafür ist, sich selbst zu informieren. Am kommenden Sonntag bietet sich bei unserem Stammtisch in Schwabmünchen die erste Gelegenheit dazu. Am 2. und 9. September stehen wir mit unserem Infostand in Augsburg den Leuten für Fragen zur Verfügung, weitere Veranstaltungen im Landkreis werden bis zur Bundestagswahl folgen. Ich werde dort sein und freue mich auf hoffentlich viele interessierte Besucher.
 
Zum Schluss wurde ich gestern von einem Familienvater gefragt was ich machen werde wenn die Piraten bei der Wahl wieder schlecht abschneiden und nicht in das Parlament gewählt werden - ob ich dann zu einer anderen Partei wechseln würde? Meine Antwort war kategorisch: Nein. Ich bin Pirat und bleibe Pirat. Es geht nicht um Posten - es geht darum, aktiv an der Gestaltung unserer Welt teilzunehmen. Das ist eine Aufgabe, die sich nicht in Legislaturperioden oder Wahlerfolgen messen lässt.
 
Es geht nicht darum zu gewinnen - es geht darum, die Dinge zu verändern.

"Du hast keine Chance - also nutze Sie!"

Herbert Achternbusch