Eintrag vom 2. April 2017
Ja, ich weiß schon was Ihr denkt: schreibt der Kerl denn überhaupt nichts mehr in sein Logbuch? In der Tat hat es bei mir bislang keine so
häufigen und langen "Auszeiten" gegeben, aber gerade arbeitsmäßig gab es viele Baustellen für mich zu bearbeiten (und
zwar wortwörtlich) und außerdem habe ich die "Pause" genutzt, die Dinge und deren Entwicklung mal wieder genauer und über einen
längeren Zeitraum hinweg zu beobachten. Etwas, was in unserer heutigen
Zeit sicherlich nicht schaden kann.
Abgesehen davon habe ich neben meinem Posten als Vorstandsvorsitzender im Kreisverband Augsburg seit gestern auch noch das Amt des stellvertretenden
Vorsitzenden im Bezirksverband Schwaben übernommen. Und da der Bundestagswahlkampf vor der Tür steht, wird mir hier die Arbeit also auch nicht
ausgehen. Trotz all der Unkenrufe sind die Piraten als Partei nämlich immer noch nicht tot. Die Piratenpartei ist nach wie vor meine
politische Heimat, und deswegen setze ich mich auch gerne für unsere gemeinsamen Ziele ein.
Nach der Landtagswahl im Saarland könnte man jetzt natürlich böse behaupten, dass sich das gar nicht mehr lohnt - zumindest nicht für
die Piraten. Klar, da gibt es nichts zu beschönigen, wir sind nichts nur draussen, sondern ganz draussen gelandet. Allerdings kann man
sicher die Frage stellen, warum - das Saarland ist nicht Berlin, die Piraten haben dort (genauso wie in Schleswig-Holstein) gute Oppositionsarbeit gemacht.
Allerdings vermutlich zu wenig aufgeregt, zu wenig polarisierend, zu wenig cholerisch, zu wenig Panik verbreitend und Resentiments schürend. Als
Ergebnis kann man wohl sagen, dass es wohl genau das ist, was der Wähler
wollte oder erwartet hatte? Wenn das der Fall ist, dann hat rationale Politik wohl tatsächlich keine Chance. Es stellt sich aber auch die Frage, ob wir
jetzt das Theater mitspielen sollten, nur um "Erfolg" zu haben?
Nein, ehrlich jetzt: erinnert Ihr Euch, was man uns seit Irrlichtern wie Ponader, Lauer, Helm und Schramm immer wieder vorgeworfen hat und noch vorwirft?
Von wegen absoluter Chaospartei und so? Keine
Themen oder die wichtigsten angeblich verpennt?
Und wie sieht es bei den anderen, den "großen", den "erfolgreichen" Parteien denn aus?
Im Saarland ist "St. Martin" weit hinter
den gesteckten Erwartungen zurückgeblieben. Der "Schulz-Effekt"
ist verpufft - weil die SPD mit ihm zwar ein neues Gesicht hat, ansonsten aber alten Wein sauren Essig in neuen Schlächen
verkauft. Die Fahne für "mehr soziale Gerechtigkeit" zu
schwingen, während man in den vergangenen Legislaturperioden gerade
selbst maßgeblich dazu beigetragen hat, eine soziale Ungerechtigkeit in unserem Land nach Kräften zu befeuern, zeugt entweder von einer
unglaublichen Unverfrorenheit oder fortgeschrittenem Alzheimer im Endstadium. Wahlkampfgetöse halt, ich würde es ja auch als (strafbare?)
Verbreitung von Fake-News bezeichnen. Die Politik der
SPD der vergangenen Jahr(zehnt)e wird heute von der CDU
am heftigsten verteidigt - was nicht einer gewissen Ironie entbehrt, nicht wahr?
Und was ist mit Muttis CDU? Mittlerweile ist ja bekannt geworden, dass Frau Merkels Entscheidung der Willkommenkultur eine reine Angstentscheidung war, wie
die Menschen in Deutschland (zumindest die mit einem noch vorhandenen sozialen Gewissen) auf die bei einer Grenzschließung unvermeidlichen, "schwer
vermittelbaren Bilder" reagieren könnten. Mittlerweile heisst es statt "Marhaban"
jetzt mehr oder weniger offiziell "ma'as-salama" aus dem
Kanzleramt, weil das Boot wieder einmal zu
voll geworden ist. Und weil es vielleicht den ein oder
anderen Wähler von der AfD zu den "Christkonservativen" zurückbringen könnte. Entsprechende, "korrigierende" Beschlüsse
werden gerade (nach amerikanischem Vorbild) in die Wege geleitet. Und
Nachforschungen angestellt, warum denn überhaupt so viele Leute nach Europa fliehen
kommen müssen wollen
dürfen. Ist doch schließlich alles ganz sicher
dort drüben. Und hier tun sich die armen Migranten sowieso mit der deutschen Sprache so unglaublich
schwer...
Ja, das ist Politik der "großen" Parteien. Findet anscheinend der Wähler gut. Aber ich sehe keinen Grund, warum wir als Piraten bei einem
solchen Scheiss Blödsinn mitmachen sollten.
Schaut Euch mal an, was die Piraten in den letzten Jahren alles kritisiert haben, wozu wir
Stellung bezogen haben. So gut wie alles, vor dem wir gewarnt hatten, wurde von den Politikern der CSPDU, teilweise unter eifrigem Mitwirken oder zumindest
aktivem Stillhalten "linksliberaler Ökologen" umgesetzt, geduldet oder in Angriff genommen: ausufernde Bespitzelung der Bevölkerung durch
eigene und fremde Geheimdienste, Verbreitung von
staatlicher und wirtschaftlicher Überwachungstechnologie,
Missbrauch von Befugnissen und Privilegien zum eigenen
Wohl auf Staatskosten, Beteiligung an Kriegseinsätzen
mit horrenden Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung. Und Gerechtfertigt wird dies alles mit einer umfassenden
Panikmache, dem Schüren von Ängsten in der
Bevölkerung, Täuschung und Verharmlosung. Gut bezahlt, und mit exzellenten Aussichten für eine spätere Karriere in der freien
Wirtschaft.
Scheisse, nicht wahr? Es ist jetzt eigendlich zu billig die Frage zu stellen, wer denn nun Recht hatte. Weil es eben ganz offensichtlich kaum einen Menschen
in unserem Land zu interessieren scheint. Wir zeigen mit dem Finger auf den Zaren
Putin, das HB-Männchen
Trump oder den Möchtegern-Diktator
Erdogan, aber wo ist der wirkliche Unterschied?
Der besteht doch nur darin, dass wir (noch) keine Journalisten ins Gefängnis stecken. Wir definieren statt dessen einfach die Wahrheit™ einfach neu
und alles andere ist dann automatisch Lüge Fake News und gehört
verboten. So etwas hatten wir vor 80 Jahren schon einmal
verabschiedet, zum "Schutze des Deutschen Volkes" im Abschnitt II,
Paragraph 9.
Aber keine Angst: Klassiker wie "Die Rente ist sicher!" oder "Mit mir wird es keine PKW-Maut geben!" sind davon
selbstverständlich ausgenommen. Strafbar wird es nur sein, Politiker nach der Wahl tatsächlich an ihren Wahlverprechen zu
messen. Denn wir wissen ja alle, dass es genau darum im
Wahlkampf ja ausschließlich
geht.
Was der Grund ist, warum wir Piraten dieses "Spiel" nicht mitspielen. Eben weil es hier nicht um ein Spiel geht. Es geht nicht darum, eine Wahl zu "gewinnen" - das ist kein Wettbewerb, das sind keine olympischen Spiele. Es geht um nichts geringeres als darum, in welche Richtung sich das Land, in dem wir alle leben und morgen auch noch leben wollen, entwickeln wird. Das Bedürfnis des Menschen, immer auf der Seite des "Siegers" stehen zu wollen, lässt genau diesen wichtigen Punkte viele Leute am Wahltag aber anscheinend vergessen. So wählen sie immer und immer wieder die gleichen Gesichter, die sie in den vorangegangenen Jahren nach Strich und Faden belogen haben.
Politik ist, wenn man sie ernst nimmt, Arbeit. Arbeit macht man nicht, indem man lauthals billige Polemik absondert, mit dem Finger auf andere Menschen als
Sündenböcke zeigt und sich offen für Einflüsterungen der zahlungskräftigsten Lobbyverbände zeigt. Das ist für mich
entweder Selbstdarstellung oder "Politik spielen". Und ja, ich gebe zu, von dieser Sorte hatten wir bei den Piraten in den letzten Jahren auch
den ein oder anderen in unseren Reihen. Die sind jetzt aber bei anderen Parteien gelandet oder schreiben Bücher über ihre Zeit bei den Piraten.
Was ja auch eine Möglichkeit ist, aus seinen kurzen "fünf Minuten Ruhm" noch ein wenig Geld herauszuholen.
Ich sage aber gleich: meine Sache ist das nicht. Und, wie ich aus Erfahrung sagen kann, auch nicht die Sache der allermeisten Piraten, die noch nicht ihr
Mäntelchen nach dem Wind gehängt und mit fliegenden Fahnen die Fronten gewechselt haben. Es geht nicht darum, den Wählern die schönsten
Wahlversprechen um den Bart zu schmieren, die Posten im Bundestag zu ergattern und danach den Bürgern eine lange Nase zu drehen.
Auch wenn das ganz offenbar so gut bei den Leuten ankommt.
"Alle fünf Jahre wurde jemand zum Tyrannen gewählt, vorausgesetzt, er konnte beweisen, dass er ehrenhaft, intelligent, vernünftig und vertrauenswürdig war. Selbstverständlich wurde nach der Wahl jedem sofort klar, dass er ein krimineller Verrückter war [...]. Und fünf Jahre darauf wählten sie wieder jemanden wie ihn, und es war wirklich höchst erstaunlich, dass so intelligente Leute immer wieder den gleichen Fehler begingen."
Buchzitat: "Einfach göttlich", von Terry Pratchett