Eintrag vom 11. September 2016
Mir wird ja hin und wieder vorgeworfen, immer nur über die anderen Parteien zu meckern. Das kann ich aber guten Gewissens tun, weil das Piraten-Bashing
bereits hervorragend von anderen Leuten übernommen wird. Da muss ich dann höchstens ab und zu Stellung nehmen. So wie heute.
Nach der Wahl ist ja bekanntlich vor der Wahl, und nach Mecklenburg-Vorpommern steht nächstes Wochenende ja Berlin auf dem Programm. Im Gegensatz
zu McPomm sitzen dort Piraten im Landtag, und auch wenn sie durch ihre teilweise exzentrischen Mitglieder in den Medien eher für Schlagzeilen im
Bereich "Klatsch & Tratsch" gesorgt haben, machen sie nebenher auch noch
politische Arbeit, z.B. durch die Kontrolle der Berliner Regierung mit Hilfe von
gezielten Nachfragen und Aufzeigen von Fehlern und Mißständen.
Klassische Oppostionspolitik eben, was in der Regel keiner Berichterstattung durch Fernsehen, Funk und Presse wert ist.
Da sind Nachrichten über den Austritt von ehemals prominenten Mitgliedern der Piratenpartei schon eher für eine Schlagzeile gut. Pünktlich
eine Woche vor dem nächsten Wahltermin (sehr geschicktes Timing, nicht wahr?) jagt die Berliner TAZ eine "Special" durch die Druckerpresse,
mit dem Titel "Das Erbe der Piraten" und verkündet in diesem Zusammenhang unglaublich schockierendes:
Marina Weisband, eines der Vorzeigegesichter der Piraten, auf das sich in
den Zeiten des Hype die Medien bevorzugt gestürzt hatten (vorzugweise da jung, weiblich und attraktiv - nicht so sehr wegen der politischen
Forderungen, wie es ja eigendlich der Presseauftrag sein sollte) ist aus der Partei ausgetreten - und zwar heimlich und schon vor einem Jahr!
Mal abgesehen davon, dass Marina sich schon weit vor diesem Zeitpunkt aus dem Bundesvorstand zurückgezogen hatte, gibt es meines Wissens nach kein
Gesetz, nach welchem man seinen Austritt aus einer politischen Gruppierung öffentlich anzeigen müsste. Die Schockwirkung hielt sich deswegen
bei mir, ehrlich gesagt, in Grenzen...
Dass eine Partei, die schon seit vier Jahren in der Presse immer wieder für "tot" erklärt wurde (und dabei meiner eigenen Erfahrung
nach dafür immer noch erstaunlich
lebendig ist) auch den
Verlust eines weiteren ehemaligen Vorzeigegesichts verkraften wird, ist wohl auch der
Redaktion der TAZ klar gewesen. Deswegen legt man in dem Artikel mit dem vielsagenden Titel "Niedergang der Piratenpartei: Abschied in die
Bedeutungslosigkeit" noch kräftig nach, zitiert Marina mit den Worten, dass die Piraten als Marke "verbrannt"
seien, dass der Grund für ihren Abschied im Weggang des "progressiven Flügels" zu suchen sei und sie sich, wenn sie sich in Zukunft
wieder in der Politik engagieren würde, eine neue Partei aussuchen würde.
Wow! Scharfe Geschütze, nicht wahr? Andererseits habe ich, seit ich bei den Piraten dabei bin, einiges über "Medienkompetenz"
gelernt und bevorzuge deswegen, nicht einfach zu glauben "was in der
Zeitung steht".
Bei Marina selber hört sich das alles nämlich ein wenig anders an: so wurde das Interview bereits vor
längerer Zeit durchgeführt und das nicht gerade
unvoreingenommen. Auch Marinas
Gründe für ihren Austritt klingen aus ihrem eigenen Mund
ein wenig anders als im Artikel der TAZ.
Aber es passt halt gerade so gut ins Bild, vor den Wahlen und angesichts der Tatsache, dass wohl auch in Berlin die AfD den Einzug in den Landtag
schaffen und dadurch einige andere, kleinere Parteien wie die GRÜNEN und auch die Piraten verdrängen wird. Von Seiten der Medien als
nochmal eine "letzte Gelegenheit", mit der "Marke" Piratenpartei Kasse zu machen.
In der Tat stehen die Chancen der Piraten für einen Wiedereinzug in das Berliner Abgeordnetenhaus alles andere als rosig. Im Gegensatz zu
der politischen "Alternative" jedoch haben sich unsere Abgeordneten durch politische Arbeit anstatt durch Fundamentalopposition, durch
konstruktive Mitarbeiten an Stelle populistischer Parolen ausgezeichnet. Erinnert sich noch jemand an den Ausspruch von Herrn
Uhl, wie schlimm es doch kommen würde, "wenn unser Land am Schluss
regiert werden würde von Piraten und Chaoten aus dem Computerclub "?
Ich prophezeihe: es besteht die Gefahr dass sich einige noch wünschen werden, von den Piraten "regiert" zu werden...! Vor allem, weil wir es
uns zum Ziel gesetzt haben, im Auftrag der Bürger zu arbeiten anstatt diese regieren zu wollen. Tja, wir werden sehen, was die Zukunft uns bringen wird...
Was aber Marinas Weggang von der Piratenpartei betrifft, möchte ich noch daran erinnern dass bei uns Piraten seit jeher ein anderes
Verständnis von
politischer Arbeit gilt: wir stellen unsere Themen über unsere politischen Vertreter.
Wie wichtig dies ist, demonstriert uns die Bundespolitik in schöner Regelmäßigkeit: manche Abgeordneten und Regierungsvertreter wechseln
ihre politische Meinung schneller als ihre Unterwäsche, ganz gleich für welche Positionen, Ziele und Aussagen der Bürger ihnen zuvor seine Stimme
anvertraut hat. Politik ist zu wichtig, um sie allein der Entscheidungsgewalt einiger weniger Menschen zu überlassen - denn dadurch besteht immer
die Gefahr, dass diese ihre Entscheidungen nicht im Sinne des Allgemeinwohls treffen, sondern sich nur für ihre eigenen persönlichen Ziele und
Vorstellungen einsetzen.
Politiker kommen und gehen - die Notwendigkeit politischer Korrekturen und Veränderungen bleiben. Deswegen habe ich kein Problem damit, wenn ehemals
"führende" Leute der Piratenpartei den Rücken kehren und kann das Drama, mit der die Presse ihre Auflagezahlen hochzuschrauben versucht,
beim besten Willen nicht nachvollziehen.
Würde die CDU in die Bedeutungslosigkeit versinken, wenn Angela Merkel ihren Austritt erklären würde? Wohl kaum.
Ist die CSU nach dem Tod von Franz-Josef Strauß beerdigt worden? Leider nicht...
Wir sehen also: es geht weiter. Eine Partei lebt durch die Politik, getragen von der Mannschaft. Es spielt keine Rolle, wer dabei am Steuerrad steht - bei
den Piraten entscheidet nämlich nicht der Kapitän, sondern der Mannschaftsrat über den Kurs. Deswegen gilt trotz dem ewig wiederkehrenden Mantra
des Abgesangs: es wird auch weiterhin die Piraten geben, und wir werden auch
weiterhin für unsere
politischen Ziele kämpfen!
Und wenn Euch Gesichter in der Politik so wichtig sind: versucht es in der Zwischenzeit doch mal mit
diesem hier!
Der hat nämlich auch einiges zu sagen.
"Wenn wir schon etwas aufgeben wollen, dann sollte es das Aufgeben sein."
Ümit Özsaray