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Eintrag vom 9. September 2016

Eigendlich wollte ich ja über etwas anderes schreiben, aber nachdem sich Herrn Seehofers CDU gestern mit einem Entwurf für ein Positionspapier zur "Ausländerproblematik" so wunderbar vorhersehbar in die Medien drängte, will ich hier noch kurz einen Nachtrag zu meinen letzten Ausführungen einschieben - und weil mir vermutlich dabei wieder die Galle hochkommen wird, dürfte mein Kommentar den Rahmen eines Zwei-Zeilen-Updates sprengen. Deswegen lieber gleich ein komplett neuer Eintrag hier im Logbuch.

Die Panikattacken der "etablierten" Parteien als Reaktion auf den Wahlerfolg der AfD in Meklenburg-Vorpommern sind bei der bayerischen Lederhosenpartei ja deutlich ausgeprägter als bei der Schwesterpartei CDU, wo man zunächst einmal in eher konventionellen Bahnen denkt. Steuergeschenke zu verteilen versprechen ist ja ein erprobtes Mittel, um die Gunst der Wähler in Deutschland wieder für sich zu gewinnen - nach der Wahl kann man ja diese Wohltaten (natürlich nur aufgrund zuvor völlig unabsehbarer "Sachzwänge") wieder in den Lokus kippen.
In Bayern wächst jedoch die Angst, dass es dieses Mal nicht reichen könnte an den Geldbeutel der Bürger zu denken. Denn bei der erzkonservativ-pseudochristlichen CSU fürchtet man sich vor der vielbeschworenen "Islamisierung des Abendlandes" mindestens genauso sehr wie der durchschnittliche Pegidianer in den neuen Bundesländern. Die Erfolge der AfD rütteln am schon lange ins Wanken geratenen Nimbus der "Christsozialen" als bayerische Alleinregierungspartei. Und wenn die CSU eines fürchtet, dann in "ihrem" eigenen Bundesland auf die Unterstützung eines Koalitionspartners angewiesen zu sein. Macht kann zur Gewohnheit werden...

Die Methoden aus Berlin reichen unserem Herrn Seehofer deswegen nicht aus, auch wenn Frau Merkel auf die subtil lautstark erhobenen Forderungen aus Bayern bereits reagiert hat. Das alles ist einem CSU-Parteichef noch viel zu viel "Wischi-Waschi", in Bayern bevorzugt man ja das "deftige Hinlangen"
Deswegen schöpft die CSU in ihrem Entwurf für ein neues Positionspapier aus dem Vollen: man nehmen plakativen Populismus, würze ihn mit rechts-nationalen Forderungen nach einer Leitkultur, packe noch eine Selektion von Menschen auf Grundlage subjektiv zusammengestellter Eigenschaften wie Herkunft und Religion - und tadaah: schon ist sie fertig, die bayerische Patentlösung. Denn wie die Strategen der CSU alle wissen ist das beste Mittel gegen rechtsextreme Splittergruppen, diese nochmal auf der rechte Seite zu überholen! Auf diesem Terrain fühlt man sich in Bayern nämlich sicher, da kennt man sich aus!

Beim Durchlesen des CSU-Papiers könnte man in der Tat auf den Gedanken kommen, dass die Verfasser sich hier ausgiebig bei der politischen Konkurrenz bedient und das halbe Programm der AfD einfach abgeschrieben haben. Vielleicht möchte Herr Seehofer ja auch vorbauen und einer Kooperation mit der selbsternannten "Alternative" für kommende Landesregierungen den entsprechenden Boden bereiten. Inhaltlich sind beide Parteien ja nicht gerade weit voneinander entfernt.
Was denn - ich höre Protest? Na gut, dann untermauere ich meine Theorie mal mit ein paar Fakten!
 
Wenn eine Partei eine Obergrenze für Flüchtlinge fordert, impliziert das wohl nichts anderes als einen Verstoß gegen die UN-Flüchtlingskonvention, welche auch von Deutschland in beiden Varianten von 1951 und 1967 ratifiziert wurde! Hilfesuchenden aufgrund einer rein subjektiv gezogenen, zahlenmäßigen Beschränkung den Flüchtlingsstatus zu verweigern wiederspricht zudem auch noch dem Prinzip der "christlichen Nächstenliebe" - und das von einer Partei, die sich die Bewahrung der "christlich-abendländischen Kultur" nicht nur explizit auf die Fahnen geschrieben hat, sondern den direkten Bezug zu diesen Werten auch noch in ihrem Parteinamen trägt? Sogar der Integrationsbeauftragte der CSU sah sich genötigt, nach Bekanntwerden des Entwurfpapiers vorsichtig Bedenken anzumelden!
Oder die Forderung, die zu uns kommenden Menschen anhand ihres Glaubens vorzusortieren und hierbei Leute aus einer "ähnlichen, christlich-abendländischen Kultur" bei der Aufnahme zu bevorzugen? Noch deutlicher kann man ja schon nicht mehr auf einen Verstoß gegen Art.3 Abs.3 unseres Grundgesetz hinarbeiten! Eine Partei, die uns stets Recht und Gesetz verspricht, aber im Zweifelsfall selber dagegen verstoßen will? Darf ich der CSU jetzt eigendlich Bestrebungen zur Abschaffung unseres freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates unterstellen?
Und wie kann man die Etablierung einer Leitkultur auf eben solchen "christlich-abendländischen Werten" sowie "bayerischen Traditionen" (welche im übrigen keinen Rechtscharakter genießen) vorantreiben, ohne gegen Art.2 und auch Art. 4 des Grundgesetzes zu verstoßen?

Die Stimmen der CSU sprechen eine deutliche Sprache, und sie ist geprägt von einer tiefen Verunsicherung vor einer zukünftigen Entwicklung. "Deutschland muss Deutschland bleiben" hat Herr Seehofer seit letzten Jahr so oft wiederholt, bis es Frau Merkel ihm nun wie ein dressierter Papagei nachgeplappert hat.Ich möchte hier noch einen anderen Satz von ihm zitieren, den er im Oktober 2015 verlauten lies: "Unser Land darf sich nicht verändern!"
Es liegt in der Natur konservativer Parteien, Dinge "bewahren" zu wollen. Allerdings sollte selbst so jemand wie ein Herr Seehofer in der Lage sein zu erkennen, dass ohne Veränderungen keine Weiterentwicklung möglich ist. In unserer Welt ist evolutionärer Stillstand gleichbedeutend mit Untergang. Ohne Veränderungen wäre Bayern auch heute noch ein reines Agrarwirtschaftsland, dass außer Milch und Käse wenig zu bieten hätte - und seit der Neuzeit natürlich eine massive Affinität zur Rüstungsindustrie. Ich glaube kaum, dass Herr Seehofer sich zu diesen Zeiten zurückwünschen würde - oder eine solche Vision seinen Stammwählern verkaufen könnte.
Irgendwann kommt der Punkt, da man sich zwischen Lederhose und Laptop entscheiden muss, und das ist auch in Bayern schon lange geschehen. Es gibt sicher viele Traditionalisten, die den "guten alten Zeiten ™" nachtrauern - aber auch diese Leute werden kaum noch auf beheizbare Wohnungen, fließend warmes Wasser und Internetanschluß verzichten wollen.

Im Grunde ihres Herzens weiß das auch die CSU - warum wohl werden immer noch Anstrengungen unternommen, "Fachkräfte" aus dem Ausland für sich zu gewinnen? Der Erfolg ist jedoch weiterhin bescheiden, trotz Blue-Card-Regelungen und finanzieller Anreize. Könnte das vielleicht auch daran liegen, dass man nur dann sein eigenes Heimatland verlässt wenn man es unbedingt muss - wie im Fall der Flüchtlinge, die aus Syrien oder Afghanistan nach Europa gekommen sind? Oder das, wenn man z.B. aufgrund finanzieller Immigration die Wahl hat, sich doch eher für ein Land entscheidet in welchem man sich willkommen fühlt und nicht nur als notwendiges Übel gesehen (im schlimmsten Fall als Sozialschmarotzer behandelt) wird?

Wenn Herr Seehofer Deutschland und vor allem sein geliebtes Bayern vor Veränderungen bewahren will, steht er auf verlorenem Posten. Hält er an diesem Kurs fest, wird er höchstens das Verlieren, was er zu verteidigen gedenkt. Mehr noch, er wird dabei auch noch eines der wichtigsten Prinzipien opfern müssen, das unsere Gesellschaft am dringendsten benötigt: Menschlichkeit.

"Menschlichkeit ist heute ein entscheidender Regierungsmangel."

Manfred Hinrich