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Eintrag vom 7. September 2016

In Mecklenburg-Vorpommern wurde gewählt, und ich hatte eigendlich darauf wetten können blöde Kommentare bzgl. dem Wahlergebnis der Piraten dort zu erhalten. Es blieb mir jedoch erspart, da zum einen die Piratenpartei schon bei der letzten Wahl keinen Fuß in diesem Bundesland fassen konnte und man wohl deswegen von uns auch nichts erwartet hatte - zum anderen, weil der Aufreger schlechthin in den Medien das anscheinend völlig unvorhersehbare Durchstarten der AfD war. Gut jede fünfte Stimme entfiel auf diese Gruppierung, was sie zur zweitstärksten Kraft in Mecklenburg-Vorpommern machte.
Die Wellen, die dieses Ergebnis in der politischen Landschaft schlug, waren enorm. Sowohl SPD als auch CDU waren sich einig darüber, dass man mit der AfD nicht zusammenarbeiten wolle, und auch die AfD machte klar, dass sie sich als Oppositionspartei sähe - zumindest, solange es zur alleinigen Machtergreifung noch nicht reicht. Verständlich, müssten die Damen und Herren Neo-Rechtkonsverative dann schließlich Leistung bringen, anstatt einfach nur das Maul groß aufzureissen.

Die Versuche, eine angemessene Reaktion auf die Erfolge der AfD zu finden, beschäftigt jetzt die "etablierten" Parteien enorm. Grundsätzlich gibt es zwei Optionen - und wie es zu erwarten war, favourisiert man in der CDU (wie schon die CSU seit langem) und mittlerweile auch in der SPD, die Taktik des politischen Gegners einfach zu kopieren: man schwenkt um und versucht, die abgewanderten Wähler durch populistische Forderungen nach einer "Flüchtlingsobergrenze", einem "Burka-Verbot" und einer "Rückführung" von Asylbewerber nach Afghanistan oder nach Syrien zurückzugewinnen.
Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, denn dadurch macht man sich genau das zu eigen, was man bei der AfD bisher angeprangert hat: die offene Zurschaustellung menschenverachtender und antisozialer Einstellungen. So wird aus der CSPDU ein Art Schattenkopie der AfD - aber was bringt das? Wer sollte aus diesem Grund die großen Parteien wählen, wenn man das "Original" wählen und die Regierung damit auch noch so herrlich ärgern kann?

Allerdings würde dann auch wieder zusammenwachsen, was zusammen gehört. Denn die AfD ist mitnichten eine Nachfolgepartei rechtextremer Splittergruppen, auch wenn durch die stetig wachsende Rechtausrichtung dieser Partei einige Neonazis von NPD und DVU zur der neuen "Alternative" abgewandert sind. Die Kernausrichtung der AfD fusst in jeglicher Hinsicht in den programmatischen Zielen der CDU/CSU vor der Neuorientierung in die politische Mitte nach der Wahl von Angela Merkel als Kanzlerin.
In dieser Hinsicht komme ich nicht umhin, trotz aller politischer Differenzen Frau Merkel meinen Respekt zu zollen: trotz dem heftigen Gegenwind aus den eigenen Reihen steht sie zu ihrer Entscheidung, vor einem Jahr die gestrandeten Flüchtlinge aufgenommen zu haben - auch wenn sie mittlerweile dezente Töne anklingen lässt, dass dies nicht mehr ihre zukünftige politische Taktik sein wird. Schließlich steht in zwei Wochen in Berlin bereits die nächste Wahl an...

In der Diskussion, wie man auf die Wahlerfolge der AfD am besten reagieren sollte, wird immer wieder davon gesprochen, dass die "etablierten" Parteien die Sorgen der Bürger ernst nehmen müssten. Allerdings sollten wir uns zuerst einmal die Frage stellen, ob diese angeblichen Sorgen denn überhaupt berechtigt sind oder nicht doch eher einer abstrakten Illusion entspringen. Für diese These spricht, dass die AfD vor allem in den Bundesländern Zuspruch erfährt, in denem man Flüchtlinge und Asylanten überwiegend nur vom Hören-Sagen kennt.
Auch die These, dass sich der Großteil der AfD-Sympatisanten aus Leuten zusammensetzt, die sich von der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland abgehängt und von der Regierung im Stich gelassen fühlen, lässt sich bei genauerem Hinsehen nicht halten. Der Großteil der AfD-Wähler entstammt der unteren Mittelschicht - also Leuten, die bereits etwas zu "verlieren" haben und deswegen für die populistischen Parolen, dass Ausländer, Flüchtlingen und Sozialhilfeempfänger ihren Arbeitsplatz, ihre Heimat und ihre Rente in Gefahr bringen, empfänglich sind. Diesen Leuten ist durchaus bewusst, welche Forderungen die AfD in ihrem Programm erhebt - und unterstützen diese auch, in der Hoffnung oder der Illusion, von den sich daraus ergebenden Folgen selbst nicht betroffen zu sein.
 
Wie ich schon oben angedeutet habe verorte ich die AfD nicht primär im rechten Sektor der Politik, auch wenn sie zur Generierung von Wählerstimmen durchaus gerne mit der entsprechenden Klientel flirtet. Dabei zieht sie aber "nur" die gemäßigten Rechten auf ihre Seite - beim Durchscrollen einschlägiger Foren kann man durchaus den Tonfall herauslesen, dass den richtigen Hardcore-Neonazis die AfD viel zu "weichgespült" ist. Diese Leute wählen auch weiterhin ihre NPD oder DVU - allerdings dürften meiner Schätzung nach etwa fünf bis zehn Prozent ihrer Wähler dem "gemäßigt-rechten" Spektrum der Gesellschaft entstammen, die zuvor ihr Kreuzchen vielleicht noch bei der CDU gesetzt hatten.
Die restlichen Stimmen rekrutieren sich meiner Meinung nach aus dem Lager der Protestwähler - Leuten, die einfach generell mit der aktuellen Lage unzufrieden sind und es den amtierenden Regierungsparteien "heimzahlen" wollen. Ich leite das aus der Erkenntnis ab, dass dieser Prozentsatz fast genau dem Anteil entspricht, um den wir Piraten seit der letzten Wahl abgefallen sind. Schon mehrfach habe ich meine Meinung kundgetan, dass es sich für eine seriöse Partei nicht lohnt, Protestwähler zu umwerben - sie interessieren sich nicht für die politische Agenda oder die Ziele der Partei, die sie wählen. Aus diesem Grund sind sie meiner Meinung nach noch gefährlicher für eine Demokratie als überzeugte Unterstützer extremistischer Parteien - diese stellen nur einen verhältnismäßig geringen Anteil in einer Gesellschaft dar, durch Protestwähler können jedoch extremistische Parteien in Positionen gehievt werden, in denen es möglich ist, einer Demokratie nachhaltigen Schaden zuzufügen.
Das muss nicht durch eine "Machtergreifung" gelingen. Wir sehen den Schaden für unsere demokratische Gesellschaft bereits jetzt - in der Form, dass die "gemäßigten" Parteien aus Angst vor dem Verlust der Regierungsmehrheit damit beginnen, die gleichen extremistischen Forderungen zu erheben und die populistische, antidemokratische und antisoziale Rhetorik nachzuplappern. Das führt zu einer Aufspaltung der Gesellschaft, zu einem Abbau des sozialen Bandes, welches den Grundstein für unseren freiheitlich-demokratische Rechtsstaat darstellt.

Wir erleben derzeit eine Abkehr vom Liberalismus, hin zu einer gesellschaftlichen und politischen Gleichschaltung Gleichformung - nicht zum vorgegebenen Gesellschaftsbild passende Meinungen, Ansichten oder Lebensweisen werden einer kritischen Prüfung und argwöhnischen Kontrolle unterzogen. Die Diskussion um das Burka-Verbot ist hier nur eines von vielen Anzeichen. Die von der CSU so vehement erhobene Forderung nach der Einhaltung einer "Leitkultur", welche den Menschen tiefgreifende Vorschriften über die Art und Weise ihres Verhaltens, ihrer Ansichten und ihrer Kultur machen will, ist das abstoßenste Symptom dieser Entwicklung.
Ebenso erleben wir eine Entsozialisierung unserer Gesellschaft - die Auflösung der Solidargemeinschaft, welche die schwächeren Mitglieder der Bevölkerung unterstützen soll. Statt dessen wird mit zunehmender Polemik auf "Sozialschmarotzer" geschimpft, die es sich auf "Kosten der Allgemeinheit" in der "sozialen Hängematte" bequem machen würden. Oder auf Immigranten, die nur nach Deutschland kommen würden, um uns Steuerzahlern "auf der Tasche zu liegen".
Was eine gute und intakte Gesellschaft auszeichnet ist ihre Art, mit den Schwachen und Hilfsbedürftigen umzugehen. Der Weg, den die AfD beschreiten will und der auch von den erzkonservativen Teilen der "großen" Parteien (zumindest insgeheim) unterstützt wird, weist in die genau entgegengesetzte Richtung: wie vor siebzig Jahren wird ein Verfall von Sitten und Anstand, von kultureller und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit beschworen und ein Sündenbock in Form einer Minderheit präsentiert, der sich nicht dagegen wehren kann. Ein solches Vorgehen ist für mich in jeder Hinsicht zutiefst verabscheuungswürdig!

Die richtige Antwort auf das Polemisierung und Hetzen von rechtsgerichteten Figuren und Parteien wie der AfD wäre deshalb, aufzustehen und laut und deutlich auszusprechen, was die Folgen dieser Forderungen sind - und warum man sich diesen Forderungen unter keinen Umständen anschliessen wird! Es wäre richtig, den diesen Parolen folgenden Menschen in diesem Land ihre eigene Veränderung zum Schlechten wie ein Spiegel vorzuhalten, und ihre Beteiligung an den von ihnen unterstützten Bestrebungen auf das Schärfste zu verurteilen! Es wäre wichtig zu erklären, das man aus dem Gebot des Mitgefühls und der Solidarität zu anderen Menschen diesen auch weiterhin helfen und Unterstützung gewähren wird. Das wäre dann die Wahrheit.

Tja... aber das wären dann ja vielleicht Leute, die einen bei der nächsten Wahl dann eventuell nicht wählen könnten...?

"Das Schwierige im Leben ist die Entscheidung."

George Moore