Eintrag vom 26. August 2016
Eine längere Pause im Logbuch ist jetzt vorrüber, und es gibt so vieles das mir im Kopf herumschwirrt, über das ich einen Eintrag
verfassen könnte. Die vergangenen zwei Wochen wurden von unseren Politikern und selbsternannten Sicherheitsexperten auf das vortrefflichste genutzt,
sich mit den
irrwitzigsten Forderungen und
Vorschlägen zu überbieten, und außerhalb der bundesdeutschen Grenzen scheint eine ähnliche
Art des Wahnsinns zu wüten.
Ich werde aber zunächst einmal mit einem anderen, für mich eher untypischen Thema anfangen, das bereits der berühmte
Doktor Emmet L. Brown als eines der größten Mysterien
des Universums bezeichnet hat: den Frauen. Beziehungsweise um das, was sie tragen.
Nicht was Ihr jetzt denkt - obwohl, wer die Berichterstattung der zurückliegenden Tage verfolgt hat wird bereits ahnen, auf was ich hinaus will:
die Verschleierung muslimischer Frauen, die so erstaunlich vielfältig ist dass sowohl Politiker wie auch Medienverlage schon zigmal kräftig
mit den Begriffen daneben gegriffen und dadurch ihre eigene Unkenntnis par excellence öffentlich zur Schau gestellt haben.
Nachdem - dem Ausnahmezustand sei Dank - in Frankreich bereits die Sittenpolizei an den Stränden patroulliert und in ihren heldenhaften Bemühungen im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus Frauen zur Entblößung zwingt (und mittlerweile versucht, gegen die Veröffentlichung derartigen fotographischen Dokumentationsmaterials juristisch vorzugehen) können brave Christen sich nun endlich wieder ins Wasser trauen - ob man die Nonnen ebenfalls dazu aufgefordert hat ihr Kopftuch abzunehmen, ist allerdings nicht bekannt. Aber das "Burkini-Verbot" wirft ein, für uns angeblich so aufgeklärte Europäer nicht ganz angenehmes Licht auf die angebliche laizistische Gesellschaft, in der wir eigenem Bekunden nach angeblich leben.
Auch bei uns in Deutschland wird das Burka-Verbot in der Öffentlichkeit gerade lautstark gefordert - ohne gesetzliche Grundlage übrigens, denn
das Vermummungsverbot gilt nämlich nur für Teilnehmer von
Demonstrationen. Die Verfechter von Regeln und Traditionen (vor allem der Vorsitzende der Jungen Union hat sich kürzlich auf diese Weise zu profilieren
versucht) scheinen zu vergessen, dass Artikel 4 Absatz 2 unseres Grundgesetzes
keine Einschränkung der Ausübung der eigenen Religion durch ein Bundes- oder Landesgesetz vorsieht. Wollen die deutschen Sittenwächter
etwa wirklich Hand an einen der ersten 19 Grundgesetzartikel legen?
Vor allem weil viele von Ihnen nicht einmal wissen, wie eine Burka wirklich aussieht? Oftmals ist eine kleine
Recherche ganz nützlich. Dann stellt man unter Umständen fest,
dass die Anzahl der wirklichen Burka-Trägerinnen in der Bundesrepublik doch... ziemlich begrenzt ist. Mir persönlich ist noch keine
vollverschleierte Frau begegnet, was aber daran liegen kann dass ich mich nicht an den richtigen Orten aufgehalten habe. Ein Freund von mir hat in den
bei saudiarabischen Touristen beliebten Einkaufsstraßen von München schon mehrfach Burkaträgerinnen angetroffen, die dort mit ihrem
Mann in den Luxusläden zum Einkaufen gehen.
Dort scheint man gegen die zahlungskräftigen Gäste aus dem nahen Osten nichts zu haben, hat sich auf die eingerichtet, stellt sogar eigene
Verkaufsräume zur Verfügung. Ich weiß nicht... sind das jetzt also gute oder schlechte Burka-Trägerinnen?
In der gegenwärtigen Flüchtlingsdebatte finden sich sicherlich viele
Argumente gegen das Tragen einer Verschleierung.
Ob eine Burka oder ein Niqab allerdings unbedingt ein
Integrationshemmnis darstellt...?
Oder ein Zeichen mangelnder Loyalität
gegenüber einem demokratischen Rechtsstaat? Was wissen wir denn
wirklich über die Menschen, die ihr Gesicht oder
ihre Gestalt unter mehr oder weniger Stoff verstecken?
Genau das ist es, was mich in der anhaltenden Diskussion so stört: wir reden hier über andere Menschen, aber wir reden nicht mit ihnen!
Es kommen Menschen aus einem anderen Kulturkreis mit anderen Bräuchen, Traditionen und religiösen Ansichten zu uns - und gemäß
der hier bei uns geltenden Gesetze haben sie das Recht, diese auch weiterhin zu leben, solange sie dadurch nicht die Freiheit anderer Menschen
beeinträchtigen. Das ist z.B. dann der Fall, wenn sie anderen ihre Gebräuche aufzwingen wollen. Aber das schlichte Unbehagen unsererseits
beim Anblick anderer Leute und ihrer Lebensweise zählt nicht dazu. Und gibt uns ebensowenig das Recht, von diesen Menschen eine Anpassung an eine
wie auch immer geartete oder definierte "Leitkultur" zu fordern.
Warum sprechen wir nicht einfach die Damen hinter dem Schleier mal an und fragen sie nach ihren Beweggründen, warum sie sich verhüllen? Woher
nehmen wir uns das Recht, sie als unmündige Sklaven von einer religiös geprägten, männerdominierten Gesellschaft unterdrückt zu
bezeichnen? Warum glauben wir, sie aus einer für uns kulturell als beengend empfundenen Situation befreien zu müssen, ohne uns nach ihrem
eigenen Befinden erkundigt zu haben?
Ja, ich kenne das Argument der Unterdrückung der Frau und dass eine Verschleierung das Symbol für eine solche Unterdrückung ist. Aber ich
gehe von dem Standpunkt aus, dass wir in einem freien Land leben und deswegen auch die Möglichkeit besteht, sich bewusst für das Tragen eines
solchen Kleidungsstückes zu entscheiden. Vielleicht um frei von dem gesellschaftlichen Zwang zu sein, sich beständig frisieren, schminken oder
in einem als Konkurrenzkampf empfundenen Wettbewerb der Geschlechtsgenossinen präsentieren zu müssen?
Es mag sicher Frauen geben, die zum Tragen einer Burka oder eines Niqab gezwungen werden. In unserem Land haben sie aber das Recht, sich dazu
entscheiden zu dürfen. Werden sie dazu gezwungen können sie sich Hilfe suchen - diese Angebote gibt es und diese werden von mir ausdrücklich
unterstützt! Aber wir dürfen uns doch kein Urteil erlauben, ohne mit diesen Menschen zuvor gesprochen zu haben. Und wir dürfen auch nicht
per se die Behauptung aufstellen, alle diese Frauen wären Opfer ihrer Kultur.
Wie ist das eigendlich mit unserer Kultur - die ist ja auch keine festgezurrte Sache, sondern ein sich stetig änderndes Konstrukt. Das, was wir heute
als unsere Kultur und Lebensweise bezeichnen, sah vor noch nicht allzulanger Zeit bei uns in Deutschland ganz
anders aus. Ein Blick zurück in die Vergangenheit offenbart da manch
verblüffende Erkenntnis, dass (man beachte die erste Dame von rechts auf
diesem Bild) "frau" damals bereits Bademode trug die streng
genommen gar nicht so weit von dem heute so diskutierten Burkini entfernt war.
Seitdem haben wir uns verändert - aber deswegen muss unsere heutige Art der
Freizügigkeit nicht für jeden anderen Menschen passen. In einer
freien Gesellschaft müsste es doch das Recht jedes einzelnen sein, sich auch gesellschaftlichen Traditionen und Zwängen zu widersetzen und
einen für sich selbst als passend empfundenen Lebensstil zu führen. Sind wir jetzt ein offenes, tolerantes Land oder muss uns per Dekret
Schweinshaxe im Dirndl serviert und Döner verboten werden, weil die Frau hinter der Theke ein Kopftuch trägt?
Natürlich, in Zeiten des internationalen Terrorismus geht von verhüllten Gestalten ja eine zusätzliche Gefahr aus. Unter so einer Burka
könnte sich ja ein Muslim mit einem Sprengstoffgürtel verstecken - das kann man ja nicht erkennen!
Stimmt - das kann man nicht sehen. Aber wo ist das Problem? Wie groß ist die Gefahr? Erschüttern Terroranschläge von als Frauen
verkleideten Terroristen tagtäglich unsere Gesellschaft? Das muss mir wohl entgangen sein...
Warum ziehen wir eine argumentative Linie, wenn das Gesicht unseres Gegenübers nicht zu erkennen ist? Können sich etwa nur Männer
radikalisieren und in die Luft sprengen? Warum sollten nicht Frauen in weiter Kleidung ebenso in die Lage sein, sich als eingebildete Märtyrer
einem Irrglauben zu opfern? Wieso scheint eigendlich dieser Fakt noch keinem unserer "Sicherheitsexperten" in den Sinn gekommen zu sein?!
Ist ein weitgeschnittener Panthanen-Anzug nicht ebenso zum verdeckten Transport von Sprengstoff geeignet? Oder ein weites Kleid? Stellt Euch mal vor
wie viel TNT in das Nikolaus-Kostüm passt, dass dieser Typ auf dem Weihnachtsmarkt trägt! Und der hat sogar noch einen Bart!! Und was
tun wir - wir setzen ihm unsere Kinder (!!!) auf den Schoß!!!! Der könnte doch ohne mit der Wimper zu zucken den kompletten Marktplatz in
Schutt und Asche legen!!!!!
Ich höre damit jetzt mal besser auf... ehe mir die Ausrufezeichen ausgehen. Aber abseits der übersteigerten Ironie habe ich hoffentlich
deutlich genug auf den wesentlichen Punkt dieser Scheindiskussion hingewiesen. Die von uns auf diese Menschen projezierten Änste und
Befürchtungen entbehren jeder sachlichen Grundlage. Wenn wir soweit in unserer Hysterie gekommen sind, müssen wir alles verbieten:
Rücksäcke, Taschen, Schuhe, Jacken... wenn wir dann alle nackt herumlaufen müssen, dürfen wir aber nicht vergessen vorher das
Strafrecht anzupassen!
Wenn wir mal einen Moment innegehalten und uns wieder beruhigt haben können wir uns vielleicht
eingestehen, dass die Argumentation mit der Terrorgefahr vielleicht doch
ein kleines bisschen übertrieben ist. Es klingt für mich eher nach einer Ausrede, um das gleiche Spiel auf der anderen Seite
mitspielen zu können.
Fassen wir also zusammen: die Forderungen nach einem Verbot verschleiernder Kleidung ist unter sachlichen Gesichtspunkten weder zwingend erforderlich noch unter Berücksichtigung rechtsstaatlicher Praktiken möglich. Es ist - wie so vieles der gegenwärtig herrschenden Politik - nur eine Nebelkerze, um von anderen existierenden Problemen abzulenken. Wer der Unterdrückung der Frauen durch gesellschaftliche oder religiöse Zwänge entgegenwirken möchte, kann dies nicht durch ein Verbot von Kleidungsstücken bewirken. Dazu sind Aufklärung und Unterstützung betroffener Frauen genauso erforderlich wie die Besinnung auf das, was unser Leben in der westlichen Zivilisation ja angeblich so lebenswert macht:
Die freie Entscheidung für oder gegen etwas, genauso wie das Achten des freien Willens.
Auch wenn uns der Wille der Anderen manchmal vielleicht nicht gefällt.
"Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden."