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Eintrag vom 19. Mai 2016

Getrieben durch die Veröffentlichung eines Teils der Verhandlungsprotokolle zum Freihandelsabkommen TTIP sieht sich die EU-Kommission anscheinend gezwungen, in die Offensive zu gehen. Aus diesem Grund entschloss man sich nun, den Entwurf einer Studie zu den voraussichtlichen Auswirkungen des Abkommens mit den USA ins Netz zu stellen und interessierte Bürger um eine Rückmeldung der knapp 400 Seiten umfassenden, in Fachenglisch abgefassten Datei zu bitten. Kommentierungen sind bis zu 9. Juni per Email möglich, damit man die Ergebnisse rechtzeitig zum 30. Juni bei einem "Dialog mit der Zivilgesellschaft" vorstellen kann.
Nein - das soll jetzt kein Witz sein. Das meinen die wirklich ernst! Wenn das mal kein Angebot für eine transparente Bürgerbeteiligung ist!

Der EU-Kommission brennt das Thema nämlich unter den Nägeln, vor allem unsere Bundeskanzlerette möchte das Abkommen noch bis Jahresende unter Dach und Fach haben. Danach geht nämlich US-Präsident Barack Obama von der Bühne ab, und mit Donald Trump als neuen Verhandungspartner hätte man eindeutig noch schlechtere Karten. Deshalb trommelt man unermüdlich gegen die vielen, unberechtigten und völlig aus der Luft gegriffenen Vorurteile an, die immer noch in der europäischen Bevölkerung im Umlauf sind.
Die Leute sehen das einfach viel zu negativ und wollen all die Vorteile, die sich für uns aus dem Freihandelsabkommen ergeben werden, einfach nicht wahrhaben. Deswegen strotzt die neue Studie auch vor Superlativen, wie gut sich TTIP für die europäische Wirtschaft auswirken wird. Wenn schon nicht für den Verbraucher...

Nun glaubt man sich daran zu erinnern, dass Wissenschaftler vor nicht allzu langer Zeit das genaue Gegenteil belegt hätten - nämlich, dass durch ein solches Abkommen mit den USA die Wirtschaftsentwicklung in Europa bestenfalls annähernd gleich bleiben könnte, wahrscheinlicher sich jedoch abschwächen würde. Deswegen erstaunt der neue, äußerst optimistisch geratene Entwurf ein wenig.
Vor allem stellt man sich unwillkürlich die Frage nach der Datenbasis, auf der diese Studie erstellt wurde. Erinnern wir uns doch lebhaft, dass selbst den Parlamentariern, die das Abkommen ja schließlich bestätigen müssen, nur sehr beschränkte Möglichkeiten der Einsichtnahme zugestanden wurden, und das auch nur nach langem und anhaltendem Druck und Protest. Jetzt sich hinzustellen und zu behaupten, es wäre alles gar nicht so schlimm, wirkt da ein wenig unglaubwürdig - ansonsten würde ich die Frage in den Raum werfen, warum man Entscheidungsträgern den Einblick in die Verhandlungstexte und Informationen darüber verweigert, den Erstellern der Studie jedoch offenbar Internas zur Verfügung stellt. Für mich klingt der zur Kommentierung eingestellte 400-Seiten-Text beim Durchsehen jedenfalls mehr nach einer "Auftragsarbeit" mit einem Wahrheitsgehalt knapp unterhalb des Tageshoroskops.
Aber unsere Politiker wollen TTIP unbedingt haben und stellen sich gerade hinter die strittigen Punkte wie Datenaustausch, Absenkung des Verbraucherschutzes oder die umstrittenen Schiedgerichte. Andere sehen die Angelegenheit deutlich kritischer.

Woher sollte bei einem Freihandelsabkommen mit den USA eine bis zu 27 Prozent größere Nachfrage an unseren Exportgütern entstehen? Und sich diese dann nur mit 0,5 Prozent des BIP auswirken? Was wird hier exportiert - Nähnadeln vielleicht?
Die Handelszölle liegen heute bereits zwischen 3 und 4 Prozent und damit auf einem sehr niedrigen Niveau. Von Handelshemmnissen kann also nicht wirklich die Rede sein. Ebensowenig von einer "Harmonisierung" von Wirtschaftsstandards - die Europäer werden ihr metrisches System ebenso wenig aufgeben wie die Amerikaner anfangen werden, sich von Fuß- und Inch-Maßen zu verabschieden. Man stelle sich vor, eines der beiden Länder würde sein gesamtes Stromnetz hinsichtlich Spannungen und Steckergestaltung umrüsten - das wäre eine logistische und auch finanzielle Katastrophe. Und daß die amerikanischen Straßenkreuzer andere Blinker haben als ein europäischer Mittelklassewagen wird auch nicht zu einem erhöhten Produktabsatz führen.
Das alles passt also irgendwie nicht ganz zusammen. Vor allem weil auch eine der wichtigsten Grundlagen für einen erfolgreichen Außenhandel zu beiderseitigem (!) Vorteil fehlt - das Geld.

Sehen wir der Tatsache in Auge - sowohl Europa wie auch die USA liegen derzeit wirtschaftlich eher im unteren Dunstbereich. Wirkliches Wachtstum ist nur noch auf Kosten anderer möglich - durch Kanabalisierung des jeweiligen Handelspartners. Auf beiden Seiten des Atlantiks kann jeder Cent nur einmal ausgegeben werden. Wer also ein ausländisches Produkt erwirbt, kann somit ein im Inland fabriziertes Produkt nicht kaufen. Bei steigendem Import sinkt die Kaufkraft für den Inlandskonsum. Daran hängen aber die Arbeitsplätze des potentiellen Käufers, der bei einem Abbau oder einer Verlagerung in "günstigere" Drittstaaten weniger Geld in der Tasche hat, deswegen weniger ausgeben kann... man sieht, wo das hinführt, oder?
Gut, diese Kausalkette hinkt ein wenig, unter anderem auch deshalb weil es bei den Amerikanern zum guten Ton gehört, mindestens drei Kreditverträge gleichzeit bedienen zu müssen. Trotzdem - es kann bei einem solchen Abkommen nur einen Gewinner geben. Und das funktioniert auch nur so lange, wie die Verliererseite noch nicht vollständig ausgeblutet ist. Und eines brauchen wir uns gar nicht einzureden: das die USA es zulassen werden, dass sie am Ende als Looser dastehen werden!

Ein Freihandelsabkommen macht also nur dann Sinn, wenn ein Produktaustausch stattfindet, der den eigenen Markt nicht in Bedrängnis bringt und ein stabiler Inlandskonsum sichergestellt werden kann. Zwischen den USA und Europa stellt sich allerdings das Problem, dass beide international mit den gleichen Produkten und Dienstleistungen vertreten sind und sich damit Konkurrenz machen. Keiner hat etwas, was der andere braucht und nicht selber herstellen kann. Im besten Fall kann sich also ein Status Quo einpendeln, der aber keinen Gewinn bringt.
Dagegen steht, dass der Austausch zwischen den Handelspartnern unweigerlich zu Lasten der europäischen Verbraucher gehen muss: wir tauschen Qualitätsprodukte gegen Billigware, hochwertige Nahrung gegen Chlorhühnchen, Hormonfleisch und gentechnisch manipulierten Matsch aus der Dose. Und erfahren das noch nicht einmal, weil aus "Wettbewerbsgründen" nicht mit dem Argument hochqualitativen Inhalts geworben werden darf - sonst würde das Zeug ja auch kein denkender Mensch kaufen!
Als kleinen Bonus fließen dann unsere Konsum-und Verbraucherdaten in die Datenbanksysteme der amerikanischen Firmen, wo man das Wort "Datenschutz" nicht einmal buchstabieren kann. Also wirklich, liebe Bürger: wer kann solchen Vorteilen denn noch widerstehen?!

TTIP ist kein Abkommen zwischen gleichwertigen Partnern, sondern eine Initiative der Wirtschaftslobby. Aus diesem Grund würde eine Veröffentlichung der Verhandlunsgtexte auch nur stören. Die Politiker kann man notfalls kaufen überzeugen, dem Abkommen zuzustimmen - der Bürger würde durch die Bekanntmachung von Details nur unnötig "verunsichert".
 
Der Slogan muss lauten: TTIP IS HOPE!
Genau... und Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei und Unwissenheit ist Stärke!
Stimmt doch, George...?

Es gibt nur eine Sprache, die Politiker besser vestehen als von Lobbyisten vergessene Köfferchen: die Gefahr einer Abwahl durch die Bürger. Dann ist es nämlich aus mit dem bequemen Sessel im Abgeordnetenbüro, Dienstwagen, Sekretärin und zukünftigen Zuwendungen von Interessensvertretern. Aus diesem Grund müssen wir weiterhin unsere Ablehnung gegen dieses intransparente und unausgewogene Abkommen kundtun.
 
Schließlich haben unsere Politiker auch ohne TTIP schon mehr als genug Möglichkeiten, uns und unsere Rechte an die Amerikaner zu verkaufen...

"Das Problem unserer morbiden Gesellschaft ist, daß wir eine Jugend haben, die mehr erduldet und wehklagt, als daß sie sich zum Protest erhebt."

Thomas Häntsch