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Eintrag vom 13. Mai 2013

So, der Bundesparteitag der Piratenpartei ist vorbei und kaum ein Presseorgan hat es versäumt, darüber herzuziehen zu berichten. Wenn wir für jede Prophezeihung des letzten Wochenendes, das die Piraten nun endgültig zu Grabe getragen worden wären, 1000 Euro bekommen hätten, wäre unser Wahlkampfetat vermutlich mittlerweile ebenso hoch wie der von CDU und SPD zusammen.
Allein: es gibt uns immer noch! Na, so ein Pech aber auch...

Was man allerdings bei der "Lektüre" der Berichterstattung, mit der uns der deutsche "Qualitätsjournalismus" gequält beglückt hat, im Grunde als einziges erfahren musste konnte, war der Grundtenor:
   Ist egal, was die Piraten machen, uns machen sie es auf alle Fälle schonmal nicht recht!

Fangen wir mit den Personalentscheidungen an: Was wurde - ich gebe zu, teilweise auch völlig zu recht - nicht gestöhnt und gejammert, dass wir mit Herrn Ponader als politischen Geschäftsführer den völlig falschen Mann im Vorstand hätten. Nun aber, kaum dass wir Katharina Nocun als Nachfolgerin bestimmt hatten, kamen die nächsten Vorwürfe:
   Die kennt doch niemand, zu unerfahren, reine parteiinterne Postenschacherei, nur wegen dem hübschen Gesicht gewählt, neue Sympathieträgerin als Nachfolgerin von Marina Weisband - taugt also nix!
Hätten die Piraten einen anderen der aufgestellten Kandidaten (ja, bei uns gibt es keine vorherigen Absprachen, damit nur ein Kandidat mit 100% der Stimmen "gewählt" wird) für das Amt ausgewählt, hätte es geheißen:
   Den kennt doch niemand, schon wieder ein Mann, genau wie Ponader, kann nix, zu unfotogen - taugt also nix!
Meiner Meinung nach haben wir mit Katharina eine sehr gute Wahl getroffen. Sie ist eine engagierte Mitstreiterin, die ihren Schwerpunkt auf unsere Grundthemen legt und durch Ihre Mitarbeit beim AK Vorratsdatenspeicherung oder dem digitalcourage e.V. auch über einschlägige Erfahrung verfügt.
Ich freue mich, dass sie den Posten als politische Geschäftsführerin bei uns übernommen hat und wünsche ihr alles Gute und viel Erfolg!

Wo wurde noch herum gemeckert? Klar, natürlich bei der Programmarbeit (ich dachte, wir hätten gar kein Programm...? Vielleicht könnten sich die Damen und Herren Schreiberlinge ja irgendwann einmal entscheiden...?) und den gefassten Beschlüssen!
Was wurde immer gelästert, wir Piraten hätten keine Positionen und man wüsste gar nicht, warum man uns wählen sollte! Nun - mal abgesehen davon das unsere Grundausrichtung seit der Gründung klar kommuniziert worden ist - wurde beim Bundesparteitag die Zeit genutzt, Fleisch an die Knochen zu geben:
 
 • Wir haben uns nochmals klar gegen den Einsatz von Überwachungssoftware ausgesprochen, gegen Fluggastdaten- und Fernverkehrsdatenspeicherung positioniert und für eine Stärkung von Fanrechten bei Sportveranstaltungen stark gemacht.
 • Wir fordern die Einführung bundesweiter Volksentscheide, eine gesetzliche Verankerung der Netzneutralität und eine Eindämmung der Störerhaftung für Betreiber von WLan-Netzen.
 • Wir haben unsere Forderungen zur Förderung der freien Bildung und wissenschaftlicher Arbeit konkretisiert.
 • Wir haben unsere Positionen zur freien kulturellen Teilhabe und der dringend erforderlichen Reform des Urheberrechts verabschiedet.
 • Wir haben unsere Forderung nach Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns bis zur Prüfung und ggf. Realisierung eines bedingungslosen Grundeinkommens konkretisiert.
 
Ich finde, diese Ergebnisse können sich durchaus sehen lassen. Zu unseren Positionen kann man stehen wie man will - man muss sie nicht mögen, genauso wenig, wie man uns wählen muss. So abstrus und realitätsfremd aber, wie sie (wieder mal) in der Presse dargestellt werden, sind sie bei weitem nicht - vielleicht werde ich mich mit den Argumenten hierzu im nächsten oder übernächsten Eintrag detaillierter auseinandersetzen.
Worüber nun aber abgelästert wurde, ist die Art, wie wir diese Entschlüsse gefasst hatten - nämlich über teils hitzig geführten Debatten zu konkurrierenden Anträgen, mit Pro- ud Kontra-Argumenten, Appellen und Überzeugungsarbeit der Redner.
Ja und? Ich sehe das Problem nicht! Denn das ist es doch gerade, was man unter einer demokratischen Meinungsfindung versteht, oder? Reine Show-Veranstaltungen, in denen die von der Parteiführung vorgefassten Beschlüsse durchgewunken werden, überlassen wir den anderen Parteien!
Reisserisch wurde berichtet, dass Notarzteinsätze erforderlich gewesen seien - als wenn es Tumulte oder handgreifliche Auseinandersetzungen gegeben hätte. In Wahrheit waren einige Teilnehmer nach über 12 Stunden Non-Stop-Arbeit schlicht und einfach umgekippt - so etwas kann den Claqueuren auf den Veranstaltungen der "etablierten" Parteien natürlich nicht passieren.

Das alles waren aber nur die Nebenschauplätze in der Berichterstattung über den Bundesparteitag der Piraten. Die fetten Schlagzeilen machten die Diskussionen über die ständige Mitgliederversammlung aus, für die sich trotz mehrfacher Abstimmungen keine 2/3-Mehrheit fand. Und sofort titelten die Zeitungen in Großbuchstaben:
   Piraten scheitern an eigener Demokratie!
   Piratenpartei - mehr Programm aber nicht mehr Mitbestimmung!
   Die digitale Revolution wird verschoben
   Den Piraten fehlt am Ende der Mut
Ach du meine Güte!
Worum ging es denn da überhaupt? Darüber hätten die Damen und Herren Journalisten vielleicht näher berichten sollen. Das Thema einer ständigen Mitgliederversammlung ist nämlich technisch wie organisatorisch äußerst komplex, weshalb hier über eine Vielzahl verschiedener Anträge beraten wurde. Hier wurde mitnichten, wie es teilweise dargestellt wurde, ein "totales Zerwürfnis" der Piratenpartei zelebriert, noch in zig Wiederholungsabstimmungen versucht, ein Thema durchzudrücken und erst recht nicht ein "übergreifender Konsens" durch eine Minderheit "blockiert"!
Das Konzept der ständigen Mitgliederversammlung sieht vor, das Entscheidungen nicht nur auf realen Parteitagen getroffen werden können, die zwei- oder dreimal im Jahr stattfinden. Vielmehr soll mit Hilfe von Online-Tools allen stimmberechtigten Mitgliedern die Möglichkeit gegeben werden, über Anträge abzustimmen und so den Kurs der Partei mitzuentscheiden - so oft wie möglich, so oft wie nötig. Eine Idee, die ich übrigens grundsätzlich gut finde.
 
Was allerdings das Problem ist - und was auch für mich der Grund gewesen wäre, dagegen zu stimmen - ist die Tatsache, das noch nicht abzusehen ist, wie eine ständige Mitgliederversammlung tatsächlich realisiert werden kann, während gleichzeitig die Belange des Datenschutzes wie auch der Unverfälschlichkeit der Entscheidungsfindung garantiert sind. Wir Piraten sammeln derzeit intern Erfahrungen zur Nutzung möglicher Werkzeuge, wie Liquid Feedback oder EtherPads. Ich sehe diese jedoch derzeit noch nicht ausgereift genug, um sie bundesweit in einem entsprechenden, rechtlich auch abgesicherten Rahmen, einzusetzen. Die zwei Hauptargumente in der Diskussion sind zudem für mich aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten:
 
 • Ein oft vorgebrachtes Argument für die ständige Mitgliederversammlung wäre eine Auflösung der örtlichen Komponente der Veranstaltung eines Parteitages. Die Teilnehmer könnten sich eine lange Anfahrt ersparen und statt dessen von ihrem eigenen Schreibtisch aus Diskussionen mitlesen, sich dort beteiligen und abstimmen. Ein Vorteil für den einzelnen, zweifellos.
Wie aber sichergestellt werden kann, dass hinter dem Teilnehmer tatsächlich das stimmberechtige Mitglied steckt, kann derzeit noch nicht beantwortet werden - theoretisch könnte ein Administrator das System dazu mißbrauchen, eine Sockenpuppen-Armee aufzubauen und selbst eingebrachte Anträge auf diese Weise durchzudrücken. Oder ein Ergebnis in der Entstehung zu manipulieren. Es stellt sich hier das gleiche Problem, aufgrund dessen ich immer noch gegen eine Einführung und Nutzung von Wahlcomputern plädiere.
 
 • Ein anderes Argument ist, durch eine ständige Mitgliederversammlung regelmäßig Einfluss auf die Entscheidungen der gewählten Abgeordneten in Landtagen oder im Bundestag nehmen zu können. Bei einer kurzfristig anstehenden Grundsatzentscheidung könnte so die Meinung der Basis, die wir in der Piratenpartei als maßgebend erachten, besser berücksichtigt werden.
Allerdings sollten wir nicht vergessen, dass ein Abgeordneter seines Wesens nach in seinen Entscheidungen unabhängig und nur seinem Gewissen verpflichtet ist sein soll. Auch eine ständige Mitgliederversammlung kann dies nicht ersetzen - und darf meiner Meinung nach auch keinesfalls den einzelnen Abgeordneten soweit "unter Druck" setzen, dass es ihn in seinem Stimmverhalten beeinflusst! Der Leitfaden eines Abgeordneten ist das (Grundsatz-)Programm seiner Partei, und darin müssen nicht alle möglichen Eventualitäten oder Detailbeschlüsse der Basis hineingeschrieben werden. Ein Abgeordneter muss sich vielmehr während seiner Amtszeit über die Legislaturperiode bewähren - um danach von der Basis bestätigt (und evtl. erneut aufgestellt) oder "abgezogen" zu werden.

Ich sehe das Projekt einer ständigen Mitgliederversammlung jedoch nicht als gescheitert an - ebenso wenig wie die Piratenpartei gescheitert wäre, auch wenn das noch so oft in den Medien behauptet wird. Zweifelslos beeinflusst aber diese stetige, unvollständige Berichterstattung die Bürger, die ihr Wissen über uns hauptsächlich aus Presse und Fernsehen beziehen.
Immer wieder erlebe ich in Diskussionen, wie einseitig pauschale Vorwürfe hinsichtlich der Unfähigkeit der Piraten und dem angeblichen Verrat eigener Prinzipien geäußert werden, ohne dies selbst belegen zu können. Auf Nachfrage kommt oft heraus, dass der Kritiker noch nie selbst ein Wort oder eine Email mit einem Parteimitglied gewechselt hat, um sich selbst eine Meinung zu bilden. Vertieft sich die Diskussion dann, bleibt oftmals Erstaunen darüber zurück, dass wir Piraten bei weitem nicht der Chaotenhaufen sind, als der wir dargestellt werden.
Wo Twitter-Meldungen einzelner Piraten als Grund für eine ablehnende Haltung gegen der Partei als Ganzes vorgebracht werden, reicht oft eine Erklärung aus, dass es sich hierbei um Einzelmeinungen der Privatperson handelt und im besten Fall mit den kurzen Statements der "Spitzenpolitiker" der CSPDU vergleichbar sind, die sie vor Beginn einer Tagung oder Parlamentssitzung in die Mikrofone der belagernden Reporter abgeben. Würde man die CSU nach solchen "Politikern" wie Herrn Dobrindt beurteilen, müsste Herr Seehofer froh sein, ein zweistelliges Prozentergebnis bei der kommenden Landtagswahl verkünden zu können. Warum hier bei den Piraten andere Maßstäbe gelten sollten, konnte mir bis jetzt keiner stichhaltig erklären.

Die anderen Parteien behaupten oft, wir Piraten hätten kein "Alleinstellungsmerkmal" in der Politik mehr, da sie unsere Positionen übernommen und das Thema Netzpolitik in ihre eigenen Programme kopiert integriert hätten. Angesichts der allerdings immer noch vorherrschenden Probleme in unserem Land, zum Beispiel beim Datenschutz oder bei den Bürger- und Grundrechten sehe ich noch lange keinen Grund für uns, die Segel zu streichen. Schöne warme Worte im Parteiprogramm der "Großen" können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie die Zeichen der Zeit entweder nicht begriffen haben - oder, im Gegenteil sogar, beschlossen haben, diese zu ignorieren bzw. mit Füßen zu treten!

Unsere Aufgabe ist es, dieses doppelzüngige Spiel von Wirtschaft und Politik weiter offenzulegen und den Bürgern zu vermitteln, dass man durchaus etwas dagegen tun kann. In diesem Sinne kann ich alle politisch Interessierten nur immer wieder dazu auffordern, nicht auf eine Berichterstattung zu vertrauen - und auch keinem Wahlplakat!
Kommt deshalb selbst zu Veranstaltungen, Infoständen oder Stammtischen und lernt die Piraten vor Ort kennen! Dort könnt Ihr uns Eure eigenen Anregungen und Vorschläge unterbreiten - oder auch uns gerne die Meinung sagen und uns kritisieren. Wir freuen uns immer auf offene Gespräche und werden versuchen, all Eure Fragen zu beantworten.

"Wer so tut, als bringe er die Menschen zum Nachdenken, den lieben sie. Wer sie wirklich zum Nachdenken bringt, den hassen sie."

Aldous Huxley