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Rechtliches & Impressum

Eintrag vom 9. Mai 2013

Ich habe mich oft gefragt, warum so gut wie jeder Innenminister in unserem Land über kurz oder lang zu einem "Freiheits-Verhinderungsminister" wird, unabhängig all seiner vorherigen Ambitionen, Erfahrungen oder Tätigkeiten. Selbst diejehnigen, die zuvor andere Ansichten vertreten haben, verwandeln sich binnen kurzem zu Politikern, die in Ausübung ihres neuen Amtes zu "Sicherheitsministern" mutieren.
Ich glaube, die Lösung verstanden zu haben. Es ist nicht das Amt, dass diese Menschen verändert. Meister Yoda hat Recht: der Schlüssel zur "dunklen Seite" der Macht ist schlicht und ergreifend: Angst!

Im Wartezimmer einer Arztpraxis habe ich in irgendeiner Zeitschrift eine Reportage über einen Badeunfall eines kleinen Jungen gelesen. Nach Abschluss der polizeilichen Ermittlungen wurde der zu dem betreffenden Zeitpunkt verantwortliche Bademeister entlastet, da ihm keinerlei Pflichtverletzung nachzuweisen war. Dennoch war er außer Stande, seinen Beruf weiter auszuüben, da er stets fürchtete, ein solches Ereignis könnte sich wieder ereignen und er könnte Schuld daran sein, ein Leben nicht gerettet zu haben oder retten zu können. Er sah in allem, was sich in und um die Schwimmbecken herum abspielte, nur noch Gefahr.
Wie der Zufall es will, sah ich kurz danach mit meinem Sohn zusammen im Fernsehen eine Folge von Spongebob Schwammkopf, in der er irrtümlich für einen Bademeister gehalten wird. Er geniest das Prestige, das sein neues Amt mit sich bringt, bis er sich dessen bewusst wird, das er die Verantwortung für die Badegäste an seinem Strandabschnitt trägt. Ab diesem Moment rastet er in Panik aus, holt alle Leute aus dem Wasser, sperrt die Lagune und - um sicherzugehen, dass auch ja niemand mehr schwimmen kann - wickelt alle Besucher mit Polizei-Absperrband ein. Aber natürlich verhindert das nicht, das trotzdem etwas passiert...

Diese Szene beschreibt vermutlich das Schlüsselerlebnis, das einem "frischgebackenen" Innenminister widerfährt: die Erkenntnis einer enormen Verantwortung, vielleicht verbunden mit dem geheimen Wunsch, doch besser Entwicklungsminister geworden zu sein, und das darauf folgende, überwältigende Angstgefühl bei dem Gedanken:
   Was soll ich nur tun, wenn etwas passiert?!
 
Die Schlußfolgerung lautet daher unweigerlich:
   Ich muss verhindern, das irgendetwas passieren kann, dann kann auch mir (und meiner Wiederwahl) nichts passieren!

Und schon geht es los: Die Welt muß sicherer werden! Der "Sicherheitsminister" setzt alle Hebel in Bewegung, um Sicherheit zu "produzieren". Alles nur erdenkliche muß getan werden, sofern es in sein Ressort fällt. Deswegen spielt es für ihn auch keine Rolle, dass in Deutschland die Opferzahlen in Folge des internationalen Terrorismus faktisch bei Null liegen, wohingegen bei uns jedes Jahr mehrere Tausend Menschen allein im Straßenverkehr sterben - dafür ist ja sein Kollege im Verkehrsministerium verantwortlich.
Und wo gehobelt wird, da fallen eben Späne. Im Namen der Sicherheit wird ein anderes Opfer gebracht, und zwar das der Freiheits- und Bürgerrechte. Damit zerstören wir zwar unsere Demokratie, aber hey - die fällt schließlich auch nicht in das Aufgabengebiet eines... moment mal, doch, genau das wäre die Aufgabe eines Innenministers gewesen!
Hach, was für ein Glück, das er ja nun der "Sicherheitsminister" ist!
Ja, man muß halt Prioritäten setzen! Im goldenen Käfig fühlen wir uns wenigstens sicher - und können uns ja zumindest einreden, ein freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat zu sein. Das ist doch auch was, oder?

Nun, nicht wirklich. Im Gegenteil, es wäre die Pflicht eines wahren Innenministers, jede seiner Entscheidungen abzuwägen und zu prüfen, ob sein neuester Vorschlag nur zur Beruhigung seiner eigenen Nerven dient oder ob dies wirklich dem Grundgedanken des von ihm geleisteten Amtseids entspricht - nämlich seine Kraft dem Wohle des Volkes zu widmen, seinen Nutzen zu mehren, Schaden von ihm abzuwenden, vor allem aber das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes zu wahren und zu verteidigen, Gerechtigkeit zu üben und seine Pflichten gewissenhaft zu erfüllen.
Und so leid es mir tut, das sagen zu müssen: vor allem die letzten drei Versprechen werden von unseren Politikern seit einigen Jahren in der Regel nicht mehr eingehalten! Seit ich mich erinnern kann, hat unser Bundesverfassungsgericht noch nie so viele Gesetzesvorhaben der Regierung zurückgepfiffen wie seit dem Beginn der "Antiterror-Gesetzgebung". Hier hat sich eine unheilvolle Allianz zwischen Drückeberger-Politikern und Lobbyisten der Hersteller von Überwachungstechnologien gebildet - die Einen versprechen, die Werkzeuge zu liefern, die Anderen nehmen dankend an und präsentieren voll Stolz die neuesten Errungenschaften im Kampf gegen den Terror, den es allerdings so nur in den Albträumen der Sicherheitshysteriker gibt. Für die Werkzeuge, die deswegen auf Kosten der Steuerzahler angeschafft werden, findet man aber leicht anderweitige Verwendungsmöglichkeiten. Mit oft verheerenden Folgen für die Betroffenen. Und einem sicheren Ruhestandsposten für den betreffenden Politiker.

Die Pflicht, ein Amt unter bewusster Abwägung aller Vor- und Nachteile zu prüfen und hierbei auch die eigenen Motive kritisch zu hinterfragen, ist ohne Frage so notwendig wie auch aufreibend. Meiner Meinung nach kann aber das Streben nach (absoluter) Sicherheit niemals ein ausreichender Grund dafür sein, Freiheitsrechte der Bürger in dem Maße einzuschränken, wie es heute ohne mit der Wimper zu zucken praktiziert wird.
Die Demokratie und Freiheit auf dem Altar einer fiktiven Sicherheit zu opfern, ist mehr als ein fahrlässiger Verstoß gegen den geleisteten Amtseid, da den meist juristisch einschlägig bewanderten Politikern die Folgen ihres Tuns und Lassens bewusst sein müssen. Für mich stellt die heute gängige Praxis, Gesetze gegen das Grundgesetz (in der Hoffnung, damit vor dem Bundesverfassungsgericht durchzukommen) zu erlassen, einen vorsätzlichen Betrug am Bürger dar, der mit einem sofortigen Amtsausschluß und strafrechtlicher Verfolgung zu ahnden wäre.

Die Pflicht, das Volk vor Schaden zu schützen, schließt auch die Folgen der eigenen Handlungen mit ein. Die Pflicht, das Grundgesetz über die Belange theoretischer Verbesserungen der Sicherheitslage zu stellen, muß die vordringliche Aufgabe eines Innenministers sein. Die Pflicht, seine Aufgaben gewissenhaft zu erfüllen und das Wohl des Volks vor eigene Interessen zu stellen, ist der Maßstab, an dem sich unsere Volksvertreter messen lassen müssen.
Egal wie hoch die Sicherheitsmaßnahmen auch ausgelegt werden mögen - niemals lässt sich die Gefahr eines Anschlags, der möglicherweise Menschenleben fordert, vollkommen ausschließen. Jedoch stellen bereits geringe Einschränkungen der Freiheitsrechte eine maßgebliche Beeinträchtigung unserer Demokratie dar - gerade das, was im Namen der Terrorabwehr verhindert werden soll.

Wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen - das Risiko, Opfer eines Anschlags aus irregeleiteten Motiven zu werden, ist der Preis, den wir für das Leben in einem freiheitlich-demokratischen Staat zahlen müssen. Trotz aller heraufbeschworenen, abstrakten Gefahren ist dieser Preis weitaus geringer als der, welchen wir für das Lebensgefühl einer freien Fahrt für freie Bürger zu zahlen bereit sind.

Diese Wahrheit offen auszusprechen und mit dem notwendigen Rückgrat zu vertreten, sollte eigendlich nicht nur die Pflicht, sondern auch eine Selbstverständlichkeit für jeden verantwortungsbewussten Politiker sein.

"Du sprichst davon, die Welt zu verändern. Bist Du mutig genug, sie zu akzeptieren, zu erkennen, was getan werden muß und trotzdem der PFLICHT zu genügen? Gibt es auch nur einen einzigen Menschen, der wirklich begreift, was PFLICHT bedeutet?"

Terry Pratchett, Rollende Steine