Eintrag vom 7. März 2013
Nachdem ich mittlerweile mehrfach gefragt wurde, warum ich die beständigen Streitereien unter den Piraten "verschweigen" und statt dessen den Anschein einer "Heilen Welt" vermitteln würde, möchte ich hierzu Stellung nehmen:
Der Grund für das "schlechte" Ansehen bzw. vielmehr die schlechte Presse der Piratenpartei hat verschiedene Gründe. Das allgemeine Piraten-Bashing überlasse ich deswegen lieber den dafür prädestinierten Stellen, die es nötig haben oder die sich als beleidigte Leberwurst aufspielen möchten. Auf solche "Kommentare" gehe ich bewusst nicht ein - wer sich an sowas delektieren möchte, kann eine Suchmaschine seines Vertrauens oder die Erzeugnisse seines Zeitungsverlags bemühen.
Sicherlich kann man uns vorwerfen, einiges "falsch" zu machen. Viele
von uns gehen mit einer gehörigen Portion Idealismus ans politische Werk
und rennen mit dem Kopf gegen bzw. manchmal auch durch aufgestellte Wände.
Das führt dazu, das diese führenden Köpfe nach einiger Zeit
ausbrennen und uns im Vorstand oder in "führenden" Positionen
verloren gehen.
Hierbei spielt auch die besondere Struktur in der Piratenpartei eine Rolle, da
bei uns die Entscheidungen prinzipiell von der Basis und nicht - wie in den
"etablierten" Parteien üblich - von der Parteispitze getroffen
werden. Vorstände sind bei uns überwiegend Organisatoren und
Repräsentanten, aber keine Anführer, die einen Kurs vorgeben, dem
dann der Rest der Partei zu folgen hat. Diese spezielle Merkmal bei den
Piraten macht die Arbeit des Vorstands nicht unbedingt leichter, ist meiner
Meinung nach aber zwingend notwendig - schließlich stehen die Piraten
für eine demokratische Entscheidungsfindung und müssen diese deshalb
vorleben.
Das dies nicht immer ohne Diskussionen und manchmal auch
Streitereien
abgeht, ist naheliegend. Hin und wieder fallen dabei auch etwas "heftigere"
Worte zwischen den Beteiligten, was in der Presse gerne (und zur Steigerung der
Leser- und Zugriffszahlen von manchen Verlagen nahezu unermüdlich) als
Beispiel für die angebliche Zerstrittenheit und Inkompetenz unserer Mitglieder
präsentiert wird.
Allerdings ist auch in anderen Parteien nicht alles Gold was glänzt - nur dringen
die Probleme in der Regel nicht in die Öffentlichkeit, sondern werden diskret
unter Verschluß gehalten, um nach Außen harmonische Einigkeit zur Schau
zu stellen. Nur ab und zu dringend die
wahren
Ansichten der Parteimitglieder in die Öffentlichkeit - worauf diesen
"Nestbeschmutzern" reflexartig und unverzüglich der
Austritt
nahegelegt wird. Ob dieses Vorgehen "Kompetenter" oder "Reifer"
ist als die von den Piraten geführten Diskussionen? Ich wage dies zu bezweifeln.
Natürlich gibt es auch bei uns Mitglieder, die man hin und wieder zum Teufel
wünscht. Wir haben nach dem zurückliegenden Hype quasi über Nacht viele Mitglieder
gewonnen, die sich die plötzliche Popularität der Piraten für ihre
eigene Karriereplanung zu nutze machen wollten. Darunter waren teilweise
"Parteienhopper", die sich bereits bei vielen anderen Parteien um
Listenplätze bemüht hatten. Oder auch Leute mit einer eher
"unrühmlichen" Vergangenheit, die dann von den Medien genüßlich
ausgeschlachtet und zu einem Möchtegern-Skandal hochstilisiert wurde.
Man kann uns auch vorwerfen, Leute auf Parteiposten gewählt zu haben, welche
die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt haben oder sich mehr um die
eigene Person als
um die Partei gekümmert haben. Auch hier wird immer wieder der Vorwurf der Inkompetenz
laut - aber bislang sind wir meiner Meinung nach, verglichen mit den anderen
Parteien,
alles in allem noch ganz gut weggekommen, oder? Mir stellt sich hier wieder die
Frage, warum man bei uns Piraten immer einen solchen Wirbel macht, bei den "großen"
Parteien solche peinlichen Details dezent nach einer kurzen Meldung wieder vergisst...
Wenigstens haben wir Piraten vorgesorgt und wählen unseren Vorstand nur für
eine Amtszeit von einem Jahr - so können wir gute Leute im Amt bestätigen
und weniger gute durch geeignetere Kandidaten ersetzen. Eine Horrorvision für
die Führungsposten anderer Parteien, um die uns deren Basis unter Hand jedoch
ein wenig beneidet.
Was für Verfehlungen haben wir uns noch zu schulden kommen lassen? Nun, ein
weiterer Fehler in meinen Augen war die für meinen Begriff zu schnelle
Erweiterung unseres Parteiprogramms. Das Kernthema der Piraten ist die digitale Welt: die
Einschränkung von Bürgerrechten durch die ausufernde Überwachung, das
Recht auf Copy & Share durch Privatpersonen, die Reform unseres Staatswesens hin zu
mehr Mitbestimmung durch Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie. Mit Aufkommen des Hype
wurden wir plötzlich mit Fragen zu Themen bedrängt, über die wir uns
vorher kaum Gedanken gemacht hatten, und mit Vorschlägen von Neumitgliedern
konfrontiert, die sie aus ihren vorherigen Parteien mitgebracht hatten oder von sich selbst
aus für relevant hielten.
Die Entwicklung zu einem breiteren politischen Programm will ich nicht per se verdammen.
Einige Vorschläge, wie z.B. die Prüfung der Möglichkeiten zur Einführung
eines bedingungslosen Grundeinkommens, begrüße ich ausdrücklich. Allerdings
wurde die Arbeit an einem "Gesamtprogramm" zu hektisch aufgenommen und zu
unkoordiniert geführt. Unter dem Eindruck, schnell Antworten auf alle möglichen
Fragen präsentieren zu können, gingen die Kernthemen, für die wir stehen,
unter.
Bei der letzten
Umfrage
zu dem nächsten Bundesparteitag zeichnet sich allerdings eine Tendenz zur Umkehr und
zur stärkeren Gewichtung unserer Kernkompetenzen für den kommenden Wahlkampf ab. Ich freue mich darüber,
denn ich halte die Piraten nicht für eine Volkspartei - und sehe uns somit nicht in der
Pflicht, auf alle Fragen eine Antwort und für jedes Problem eine Lösung parat
haben zu müssen. Die Piraten sind eine Themenpartei auf der Grundlage von Freiheit,
Gleichheit, Demokratie und Gerechtigkeit. Darauf sollten wir uns heute und auch für
die Zukunft besinnen - um Fehler, die andere gemacht haben, nicht zu wiederholen...
Die GRÜNEN z.B. haben einst als klassische Ein-Themen-Partei angefangen und waren politisch
erfolgreich, weil sie sich nicht verbiegen lassen wollten und für ein Ziel gekämpft
haben, das andere Parteien ignoriert oder aus dem Auge verloren hatten. Man konnte ihnen
glauben, das sie es ernst und ehrlich meinten. Spätestens seit der Beteiligung an
der Regierung Schröder verloren sie jedoch diese "Unschuld" und mutierten
zu einer Partei, die sich für die Rolle des Juniorpartners verbog, Entscheidungen aus
"Sachzwängen" mittrug, auch wenn diese im Grunde genommen gegen ihre Überzeugung
waren - und die sich dadurch selbst verriet. Auch wenn die GRÜNEN heute eine feste
politische Größe sind, deren Einzug in die Parlamente als sicher gilt und sich
immer weiter in Richtung einer Volkspartei mit einem "Vollprogramm" entwickelt
- sie haben für mich an Glaubwürdigkeit verloren und sind, fest verortet im politischen
Spektrum unseres Landes, austauschbar geworden.
Eine solche Entwicklung droht auch uns Piraten, wenn wir zu sehr auf Wahlprognosen schielen
und ein zu weites Feld beackern wollen, dessen Grenzen wir unweigerlich aus den Augen verlieren
werden.
Wir müssen uns stets darauf besinnen, warum wir Politik machen wollen:
Um etwas zu bewegen, um etwas zu verändern!
Ich persönlich sehe es so: Wenn sich die anderen Parteien (im unwahrscheinlichsten Fall)
plötzlich dazu entschließen sollten, all unsere politischen Forderungen
und Ziele umzusetzen,
müssten die Piraten konsequenter Weise sich selbst auflösen. Andernfalls
würden wir zu einer Partei werden, die nur um ihrer selbst Willen existiert und sich
auf die Suche nach anderen politischen Zielen macht, um ihre Daseinsberechtigung
begründen zu können. Politik um der Politik willen sollte meiner Meinung nach
aber nie gemacht werden, auch wenn das Gefühl von Ruhm und Macht noch so süß
sein mag. Wenn man seine Aufgabe erfüllt hat, ist die Zeit gekommen, sich neuen,
anderen Zielen zuzuwenden.
Soweit sind wir jedoch (leider) noch nicht gekommen - ja, wir haben kaum angefangen mit unserer Arbeit.
Aber wir können mit vielen kleinen Schritten vorwärts kommen, selbst wenn wir hin und
wieder einen Schritt zurück machen müssen.
Einiges haben wir dabei schon erreicht: Nur durch die Piraten hat das Thema "Netzpolitik"
an Aufmerksamkeit gewonnen, so dass es selbst die "großen" Parteien nicht
länger ignorieren können. Durch unseren Widerstand konnten Initiativen wie ACTA
verhindert oder die Überarbeitung der Meldegesetz-Reform erzwungen werden. Dank unserem
Einsatz wird begonnen, das System der GEMA endlich zu hinterfragen und alternativen Lizenzformen
wie Creative Commons mehr Raum gegeben. Und auch wenn uns die Presse dafür keinen
(oder nur sehr wenig) Tribut zollte: Die Abschaffung der Studiengebühren in Bayern ist
auch durch das Engagement vieler engagierter Piraten möglich geworden.
All diese Erfolge haben wir durch unsere Kompetenz in unseren Kernthemen errungen. Dies ist
auch der Weg, dem wir Piraten meiner Meinung nach weiter folgen sollten. Andere politische
Bereiche können wir in Angriff nehmen, wenn wir uns darin genügend Wissen und
Kompetenz angeeignet haben - wenn dies im Rahmen unserer Ziele liegt, spricht da überhaupt nichts dagegen! - solange wir uns
selbst dafür genug Zeit einräumen.
Ich persönlich bin davon überzeugt, dass wir viele Dinge in diesem Land verbessern können - und das wir das auch, unbeirrt von negativer Berichtserstattung oder konstruierter Untergangsszenarien, immer weiter versuchen müssen. Ich habe selten anderswo so viele intelligente, engagierte und ambitionierte Menschen getroffen wie in der Piratenpartei. Zusammen haben wir die Möglichkeit, unsere Ziele für ein gerechteres, sozialeres und demokratischeres Land umzusetzen.
Und wenn Frau Merkel schon nicht den Mut dazu hat, mehr Freiheit zu wagen - wir können von uns sagen, dass wir den Mut haben, zu unseren Fehlern zu stehen!
"Wer nie vom Weg abkommt, bleibt auf der Strecke."