Eintrag vom 20. Februar 2013
Nach meinem letzten, zugegebenermaßen etwas längeren Eintrag, wird es nun
etwas kürzer werden. Denn die von mir angerissene Frage, was
man gegen die fortschreitende Erosions unserer Demokratie tun kann, ist eigendlich auf
einen einzigen, kurzen Nenner zu bringen:
Wir müssen unsere Demokratie selbst leben!
Klingt einfach, ist es heutzutage aber leider nicht. Im Grunde genommen müssten sich nur die Bürger für ihr Land engagieren, sich selbst mit der Struktur unseres Regierungssystems befassen und sich Gedanken darüber machen, wie man es verbessern kann. Wenn sich die Bürger nicht als Angestellte ihres Staates begreifen (allein die Bezeichnung "Personalausweis" spricht hier ja Bände) und ihn nicht als übergeordneten Fremdkörper sehen, sondern verstehen dass sie selbst ein Teil davon sind (und damit auch verantwortlich für seine Entwicklung), dann würden sie wohl begreifen, wie wichtig es ist, Entscheidungen "von oben" nicht nur einfach abzunicken oder hinzunehmen, sondern aktiv mitzugestalten.
Ich höre die Frage schon: Und wie soll das funktionieren?
Ich gebe zu, die Lage in Deutschland ist, gelinde gesagt, schwierig. Unsere Regierung und Gesellschaft ist, in alter monarchischer Tradition, von oben bis unten bürokratisiert. Nach Kaiserreich und Führer wurde uns eine Demokratie gegeben (von Ländern, die heute selbst nicht mehr viel mit der eigendlichen Demokratie am Hut haben) und wir haben sie adaptiert, aber weder je verstanden noch zu schätzen gelernt. Oder anders gesagt: dem deutschen Michel ist es eigendlich egal, wer ihn regiert. Auf die Idee, sich selbst zu regieren, ist er nie wirklich gekommen.
Viele Menschen kritisieren unsere Staats- und Regierungsform als realitätsfremd,
korrupt, verfilzt. Sie bezeichnen sich als unpolitisch, weil sie mit der Form unserer
heutigen politischen Struktur nichts zu tun haben wollen.
Wir sollten uns aber alle eines klarmachen: Unsere Politik ist nur dehalb verfilzt,
korrumpiert und realitätsfremd, weil wir es zugelassen haben, dass sie so
wird! Wir tragen alle Schuld daran, dass dieses System so geworden ist, wie es
uns heute auf die Nerven geht! Und wir sind die einzigen, die daran auch etwas
ändern könnten - genauso, wie wir die Schuld daran tragen, wenn sich
aus unserer Demokratie eine Oligarchie oder Diktatur entwickelt, nur weil wir
zu bequem waren, unseren Hintern aus dem Fernsehsessel zu hieven und die Dinge selbst
in die Hand zu nehmen!
Ich höre die nächste Frage: Und was sollen wir denn tun?
Ein kleiner Vorschlag: Wir könnten aufhören, hilflos wie ein verlorenes Kleinkind im
Supermarkt der Möglichkeiten herumzustehen und nach jemandem zu schreien, der uns
aus dieser Lage retten soll. Meine Güte, obwohl dauerberieselt mit Trash-TV-Formaten und durch
"Will-haben-billiger-ist-geil"-Mentalität schwer angeschlagen, sind wir
doch immer noch (mehr oder weniger) intelligente Menschen, oder nicht? Wir wissen, wenn
uns etwas gegen den Strich geht. Warum, zum Geier, versuchen wir dann nicht, die Dinge
zu ändern?
Wir wurden seit (mindestens) hundert Jahren darauf konditioniert, das zu tun was man uns
sagt. Und dieses Prinzip haben wir so verinnerlicht, dass wir blind wie Maschinen danach
handeln:
Was der Chef, der Kanzler, der Präsident, etc. sagt, wird schon stimmen,
und wenn es nicht passt, trägt er doch die Schuld und nicht ich...
Ja, Pustekuchen!
Dieses freiwillige Sklavendasein unserer Bevölkerung hat uns genau diese Scheisse
Situation eingebrockt, in der wir jetzt stecken:
Wer noch nicht arbeitslos ist, rackert wie
ein Verrückter, um es nicht zu werden, und dennoch müsen viele Menschen beim
Arbeitsamt Agentur-Büro für eine Aufstockung die Hosen herunterlassen,
um die Familie halbwegs versorgen zu können! Was wir leisten, wird ins Ausland verscherbelt,
und die Unternehmen machen Milliarden-Umsätze und zahlen Fantastillionen-Boni an ihre
Schreibtischtäter, die nichts anderes tun als Hände zu schütteln, Powerpoint-Präsentationen
zu basteln erstellen zu lassen und vielleicht hier und dort ein schwarzes
Köfferchen zu verteilen. Gleichzeitig jammern sie, dass wir in Deutschland ja so hohe
Arbeitslöhne haben, aber vielleicht kann mir mal einer sagen, warum unsere Bürger
dann in 10 Jahre alten Rostkübeln zur Arbeit fahren?
Wenn Menschen wie Du oder ich morgen arbeitslos werden, dann dürfen wir alles, was wir
für uns als Altersvorsorge zusammengespart haben, auflösen, ehe wir einen Cent vom
Staat sehen. Für jeden, der über 50 ist, bedeutet dies de facto ein Abrutschen in
die Sozialfürsorge, da man in diesem Alter eher im Lotto gewinnt als nochmal eine
Arbeitsstelle findet, die mehr als nur ein 1-Euro-Job ist. Verspekuliert aber eine Bank die Einlagen
ihrer Kunden, dann werden Milliarden locker gemacht - wegen der Systemrelevanz!
Keinen Politiker, keinen Banker, der wegen Mauscheleien oder Affären zurücktreten musste, hat man
je auf der Bank in der Arbeitsagentur gesehen, und wenn sie noch so viele Börsencrashs
verursacht oder Milliarden veruntreut haben! Im besten Fall gestehen diese Herrschaften
irgendwann einmal eine "moralische" Schuld ein, zur Verantwortung gezogen werden
sie jedoch niemals.
Was nutzt es nun, wenn "die" die Schuld haben, während wir die
Sache ausbaden dürfen? Begreift als ersten Punkt die wahre Bedeutung unserer selbstgewählten
Abhängigkeit: "Führer befiel, wir tragen die Folgen!"
Und so kommen wir zum nächsten Schritt in die Unabhängigkeit: Zweifeln und Fragen!
Es gibt "da oben" niemanden, der uns die Last der Entscheidung abnehmen kann, der auf
uns aufpasst, uns beschützt, über uns wacht und nur Gutes für uns will! Niemand
ausser uns darf und kann beurteilen, was gut für uns ist.
Aus diesem Grund beruht das System einer funktionierenden Demokratie auf stetiger Kontrolle.
Aber nicht, indem die Mächtigen die Bürger überwachen, wie es heute der Fall ist!
Sondern indem die Bürger diejenigen kontrollieren, denen sie (auf Zeit!) die Verantwortung
übertragen haben!
Und genau das haben wir in der Vergangenheit schleifen lassen. Wir haben den Dottores h.c. im Parlament
und Kanzleramt vertraut und einfach geglaubt, dass die es schon richtig machen würden.
Keiner hat danach mal nachgeschaut, ob das auch wirklich so ist. Im besten Fall haben wir mal gefragt:
"Klappt auch alles?"
Und die haben natürlich geantwortet:
"Alles in Ordnung, schlaft ruhig weiter."
Und während wir wieder unseren Fernseher angeschaltet haben, haben die sich die Hände
gerieben und ihre Schäfchen ins Trockene gebracht. Und für den Fall, dass die Bürger
zu früh aus ihrem Schafkoma erwachen und anfangen zu stören, haben sie begonnen,
Vorkehrungen zu treffen.
Mal im Ernst, glaubt denn wirklich noch jemand, dass Überwachungskameras, Funk-Chips in den
Reisepapieren und Handyortung dem Schutz gegen den Terrorismus dienen? For crying out loud!
Mit Überwachung fängt man keine Terroristen. Aber man kann die eigenen Bürger im
Auge behalten, quasi als Hirnstrommesser am Komapatienten, damit man erkennen kann, wenn er
beginnt, aufzuwachen.
Eure Angst, zur Zielscheibe der Behörden zu werden, kontrolliert, überwacht, gegängelt
zu werden, kann ich verstehen. Nur: Ihr fürchtet Euch noch nicht genug!
Jedem, der mir sagt, dass er Angst hat sich zu engagieren, weil er befürchtet, dass man ihm dann
die Hölle heiß macht, kann ich nur sagen: Genau da seit Ihr doch schon längst!
Ihr habt den Temperaturanstieg nur nicht bemerkt, weil man Euren Kessel so langsam erhitzt, dass Ihr
Euch wie ein Frosch daran gewöhnt habt! Euer Hintern hängt schon im Feuer - Ihr habt ihn
selbst dort hingesteckt! Die Frage ist jetzt, was Ihr dagegen tun wollt!
Alles, aber auch wirklich alles, was heute unsere Demokratie bedroht, haben wir selbst zu
verantworten! Wer jemandem Befugnisse überträgt, welche die eigene Person betreffen,
handelt grob fahrlässig, wenn er es unterlässt, die Ausübung der übertragenen
Macht zu kontrollieren und beim ersten Zweifel zu intervenieren.
Ich höre sie alle rufen: Wir können doch eh nichts ändern!
Solange ihr das glaubt, so lange gibt es auch keine Möglichkeit, eine Änderung herbeizuführen. In dem Moment, wo wir jedoch aufstehen und sagen: "So nicht!" haben wir eine Chance!
Was wir jetzt sofort tun können (und im Grund genommen sogar müssen!) ist, uns mit
dem, zugegeben etwas trockenen, Thema Politik zu beschäftigen. Das beginnt mit der
Information über das Geschehen in Zeitungen (vorzugsweise die mit mehr als nur 8 Seiten Umfang), Fernsehberichten,
und im Internet - und der Bereitschaft, diese Berichterstattungen über längere Zeit zu verfolgen.
Wir können anfangen, mitzudenken und die wahren Inhalte und Botschaften von Texten und
Reden der Abgeordneten zu erfassen (Politiker-"Neusprech" zu verstehen ist mit ein
wenig Übung gar nicht so schwierig zu verstehen). Wir können uns an ihre
Versprecher Versprechen
erinnern und sie an ihren Taten messen. Und ihnen ihre Lügen unter die Nase reiben: indem
wir ihnen Briefe, Faxe, Emails schreiben, ihr Büro anrufen, darüber in Blogs oder
in Leserbriefen berichten - und das verlogene Pack bei der nächsten Wahl nicht
einfach automatisch wieder wählen.
Wir können Petitionen an die Parlamente verfassen oder zu politischen Veranstaltungen
der Parteien gehen und dort unsere Forderungen nach Änderungen der Mißstände
laut werden lassen.
Wir können uns selbst aktiv Interessengemeinschaften, Verbänden oder Parteien
anschließen (oder solche selbst gründen), um die Dinge selber in die Hand
zu nehmen.
Das alles können wir bereits jetzt, in diesem Moment tun! Und wir sollten es tun (solange wir
es noch können!) anstatt darauf zu warten, dass uns irgend jemand anderes diesen Job abnimmt.
Klar ist das mit Arbeit, mit Einsatz, mit Engagement verbunden. Aber nur vom Rumstehen und Maulen
wird sich absolut nichts ändern.
Das Warten auf einen erleuchteten Retter mag bequem sein,
aber erstens weis man nie wann er kommt, zweitens wer er ist und drittens, ob sich
dieser Heiland nicht in ein paar Jahren als der nächste Tyrann von Morgen entpuppt.
Nur
wenn wir selbst das Ruder in die Hand nehmen, können wir den Kurs auch selbst bestimmen!
Den Einwand "Das klappt doch nie!" will ich hier gar nicht hören! Ich will sehen, dass Ihr es versucht, ehe Ihr die Sache zum Scheitern verurteilt! Und vor allem will ich sehen, wie Ihr erst alle erdenklichen Möglichkeiten ausschöpft, jede denkbare Taktik und Vorgehensweise ausprobiert habt, ehe Ihr wieder in eine Schockstarre verfallt und den Kopf in den Sand steckt!
Demokratie kann nur entstehen und aufrecht erhalten werden, wenn wir uns alle unserer Verantwortung bewusst werden, das es auf uns und unser eigenes Engagement ankommt. Sicherlich ist es bequemer, auf "die da oben" zu schimpfen - aber jeder von uns, der einen Fehler oder eine Fehlentwicklung des Systems erkennt (und die ist ja nun selbst für einen Blinden mit Krückstock nicht mehr zu übersehen!), steht in der Pflicht, diese zu korrigieren.
Dies ist unser Land und das Land unserer Kinder. Wie wollt Ihr ihnen in ein paar Jahren erklären, warum Ihr nichts getan habt, um die Mißstände in unserem Land zu beseitigen? Wie wollt Ihr Euch morgen im Spiegel noch selbst in die Augen schauen können, wenn Ihr einfach beiseite tretet und das Feld ohne Gegenwehr denen überlasst, für die unsere Demokratie mit all ihren Möglichkeiten der Mitbestimmung und Mitgestaltung nur ein lästiges Relikt der Geschichte darstellt?
Ihr meint, ich übertreibe? Nun gut, es ist Eure Entscheidung. Aber denkt gut darüber
nach.
Denn diesmal werden wir nicht sagen können, wir hätten von nichts gewusst!
"Was nützt die Freiheit des Denkens, wenn sie nicht zur Freiheit des Handelns führt?"