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Eintrag vom 27. Dezember 2016

Fassen wir nochmal zusammen: ein international gesuchter und den Geheimdiensten bekannter Krimineller, der sich radikalisiert und sich dem IS offen für die Durchführung terroristischer Anschläge angedient hat, über den bekannt war dass er einen Anschlag nach dem Vorbild von Nizza plante... dieser Anis Amri tötete mehrere Menschen auf einem Berliner Weihnachtsmarkt, in einem Land das sich nach Aussage der Sicherheitsbehörden und des ihnen vorstehenden Bundesinnenministers seit 2001 in einer akut erhöten Gefahrensituation befindet und in welchem deshalb die Sicherheitsvorkehrungen zu Lasten der Grund- und Freiheitsrechte auf das Massivste eingeschränkt worden sind. Danach "verschwand" der Täter vom Tatort, und hätte er nicht (zufälliger Weise...?) seinen Flüchtlingsausweis im Führerhaus des LKWs liegen lassen, wüsste die Polizei noch heute nicht, um wen es sich hier gehandelt hatte. Panik brach in den Medien und der politischen Ebene aus, während sich der internationale Terrorist in aller Seelenruhe nach Frankreich (ein Land, das sich seit geraumer Zeit im Ausnahmezustand befindet!) absetzen und danach weiter nach Italien reisen konnte. Hätte er bei einer Routinekontrolle der Carabinieri nicht die Nerven verloren und auf die Polizisten geschossen, hätte ihn möglicherweise auch dort niemand erkannt und er hätte die Grenzen der europäischen Union schon lange hinter sich gelassen.
So, und jetzt meine Frage an die versammelte Leserschaft meines Logbuchs: gibt es einen besseren Beweis, dass ein mehr und immer mehr an Überwachungsmaßnahmen und staatlicher Kontrolle eben nichts - genauer gesagt: überhaupt nichts! - bringt?

Wir reden hier von einem Verbrecher, über den bereits lange vor der verübten Tat derart detaillierte Informationen vorlagen, dass unsere Sicherheitsbehörden im Grunde genommen blind mit dem Krückstock hätten in der Lage sein sollen, seine Anschlagspläne zu durchkreuzen. Ihnen standen neben geheimdienstlichen Informationen mehrerer Staaten zur Verfügung: Aufnahmen von Überwachungskameras an öffentlichen Plätzen im Bundesgebiet (einschließlich Verkehrskreuzungspunkten), die Erfassung von Metadaten über die wieder neu eingeführte Vorratsdatenspeicherung Mindestdatenspeicherfrist, erweiterte Befugnisse zur Festnahme von als "Gefährder" eingestufte potentielle Verdächtige, der Zugriff auf europäische Fahndungsdatenbanken, GPS-Ortungssysteme von Mobiltelefonen sowie dem vom Täter entführten LKW, und und und...
Am Ende haben all diese tollen Spielzeuge nicht nur in keinster Weise zur Lokalisierung und Festnahme des Attentäters beigetragen, sondern eine Datenflut weiter anschwellen lassen, die eine Auswertung der Informationen unmöglich machte und damit sein Vorhaben indirekt unterstützt hatte. Ein Versagen der Sicherheitsorgane unseres Landes in einem solch epischen Ausmaß mag sich vielleicht durch ähnliche Aussetzer der Polizeibehörden in anderen europäischen Staaten in bester Gesellschaft befinden, stellt aber dennoch eine Peinlichkeit dar, aus der dringend umfassende Konsequenzen gezogen werden müssen.

Die logische Konsequenz, die mir in den Sinn kommt, wäre: ein Hinterfragen des bisherigen sicherheitspolitischen Kurses einer stetig ausgeweiteten und offensichtlich vollkommen nutzlosen Totalüberwachung, eine Stärkung der personellen Aufstellung unserer Ermittler und die Übernahme der Verantwortung für ein solches Desaster durch Rücktritt des offensichtlich planlos agierenden Sicherheitsministers.
Auf politischer Ebene kommt man logischerweise allerdings zu einem diametral entgegengesetzten Schluß: ein weiterer Ausbau der Videoüberwachung, noch mehr Überwachungsbefugnisse für die Ermittlungsbehörden und daraus folgend eine weitergehende Einschränkung der Bürger- und Freiheitsrechte durch die damit zusammenhängende, anlasslose Erfassung aller unschuldiger Bürger unserer Bundesrepublik. Mit anderen Worten: wenn wir die Nadel im Heuhaufen nicht finden, kippen wir einfach nochmal ne Fuhre oben drauf, vielleicht finden wir sie dann leichter...

Bin ich der einzige, dem die Logik dieser Schlussfolgerung entgeht? Außer natürlich dem Zweck des Nebelkerzeneinsatzes, damit der die Misere verursachte Minister nicht vorzeitig seinen Stuhl räumen muss...

Es ist schick in politischen Kreisen, solche Tragödien für die eigene politische Profilierung auszuschlachten - das hat nicht nur die AfD, sondern auch die CDU und CSU in den vergangen Tagen bewiesen. Mich widert dies in gleichem Maße an wie die von diesen Mördern verübten Anschläge - in beiden Fällen geht es um nichts anderes als um die Ausschlachtung solcher Taten zum Zweck der eigenen Ideologie, möge sie nun religiös oder politisch verbrämt sein. Es ist für mich in höchsten Maß einfach nur ekelhaft. Wenn populistische Scharfmacher der Regierung und Opposition sich schneller mit ihren Verbalergüssen zu Wort melden müssen als die Terroristen ihr Bekennerschreiben veröffentlichen können wirft das ein deutliches Licht auf den desolaten moralischen Zustand, in dem sich unser Land befindet.

Schauen wir doch mal, was jetzt so alles gefordert wird... ah ja, die standartisierte Erfassung von Menschen in Fingerabdruck- und DNA-Datenbanken, natürlich mit direktem Zugriff für Polizei und Geheimdienste und einer Vernetzung zu allen anderen bereits vorliegenden Datensätzen - den Heuhaufen vergrößern, Sie wissen schon... und dann natürlich elektronische Fußfesseln für potentielle Gefährder, weil wir ja wissen dass dieses Instrument bereits im Einsatz bei anderen Terrorverdächtigen so hervoragend funktioniert hat. Die Ausweitung der Videoüberwachung haben wir ja bereits angesprochen, aber da wir für die ganzen schönen Bilderchen nicht genug Personal haben sollen die Aufnahmen direkt durch Computerprogramme ausgewertet werden - dafür muss dann halt noch das Tragen von Brillen als versuchte Vermummungsmaßnahme verboten werden. Und die Sache mit den Kommunikationsdaten ist sicherlich auch noch mal ausbaufähig.
Hab ich noch was vergessen...? Ach ja, ein Verschlüsselungsverbot für Kommunikationsmittel, auch wenn in diesem Fall (mal wieder) keinerlei Hinweise darauf vorliegen, dass dies irgendeine Rolle gespielt hat. Und eine Aufweichung der Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten - wie wir aus dem Geschichtsunterricht wissen kann dabei ja überhaupt nichts passieren und schließlich gab es beim guten alten Adolf damals ja auch in keinster Weise Probleme mit Terroristen - die nannte man damals einfach Partisanen, glaube ich...

Ich habe es schon oft gesagt, und ich sage es auch weiterhin: keine dieser Maßnahmen taugt für den propagierten Zweck, nämlich der Erhöhung der Sicherheit durch Verhinderung solcher Attentate oder anderer Straftaten. Das wissen auch die verantwortlichen politischen Provokateure, die seit neuestem nicht nur davon sprechen, Verbrechen zu verhindern sondern auch die "Aufklärungsarbeit zu erleichtern". Dagegen bergen sie jedoch ein hohes Missbrauchspotential, dass im Zweifelsfall auch ausgenutzt wird - und das auch noch geplant, oder wie soll man die im Zuge der Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung eingeführe Herabstufung der Einsatzschwelle von "Terrorismus" auf allgemeine "Straftaten" sonst werten?

Warum können dann offensichtlich ausgewiesene Vollpfosten solche Forderungen aufstellen, propagieren, sich durch das zusätzliche Schüren von Ängsten für ihre Vorhaben Rückendeckung aus der Bevölkerung holen und mit Hilfe politisch Gleichgesinnter am Ende noch als Gesetz durch den Bundestag verabschieden lassen, ohne Angst vor einer Strafverfolgung wegen Verstoß gegen den Amtseid, innenpolitischer Destabilisierung und Bruch der Verfassung fürchten zu müssen?
 
Weil sie durch die sogenannte "politische Immunität" davor geschützt sind.

"Politische Immunität macht leider nicht gleichzeitig immun gegen Charakterschwächen."

Willy Meurer