Kontakt
Seite zurück
Seite vor
Rechtliches & Impressum

Eintrag vom 14. September 2012

Bevor man den Eindruck gewinnt, ich würde dieses Logbuch nur als Wahlwerbung für die Piratenpartei betreiben, komme ich heute mal zu einem Punkt, der mich gestört hat. Wirklich gestört. Aber um das zu erklären, muß ich erstmal ein wenig weiter ausholen.

Ich bin ja zu den Piraten gegangen, weil ich plakative "Problemlösungsvorschläge" ablehne. Ich bin dafür, Probleme differenziert zu betrachten und sich nicht vorschnell auf eine Seite zu schlagen oder festzulegen. Erst will ich alle Fakten zusammengesucht und bewertet haben. Deswegen erscheint hier auch nicht jeden Tag das neueste Geschwurbel meiner geistigen Ergüsse, sondern nur hin und wieder ein Eintrag zu einem gerade für mich aktuellen Thema.

Wie gesagt, diese differenzierte Betrachtungsweise, die Sachlichkeit, die Diskussionsfähigkeit waren Gründe für mich, den Piraten beizutreten. Das dies nicht von jedem meiner Crew-Kameraden so gesehen wird, kann ich akzeptieren. Die Piraten setzen sich aus den unterschiedlichsten Leuten zusammen, bei denen jeder andere Präferenzen hat. In dieser Truppe zu einer gemeinsamen Entscheidung zu kommen, mag chaotisch wirken, ist aber für mich gelebte Demokratie. Insofern betrachte ich Selbstdarsteller als solche, und nicht als Spiegel der Partei, die sich meiner eigenen Erfahrung nach aus sehr korrekten, engagierten und sachkundigen Leuten zusammensetzt.

In der Vergangenheit hat man uns gerne vorgeworfen, wir hätten zu wichtigen Themen keine Meinung oder würden aktuelle Ereignisse verschlafen. Diese Vorwürfe scheinen im Bundesvorstand wohl leider Spuren hinterlassen zu haben, so dass in letzter Zeit Pressemitteilungen herausgegeben wurden, welche die meiner Meinung nach wichtige Prüfsorgfalt vermissen lassen. Nach einer, sagen wir in meinen Augen unglücklich formulierten Stellungnahme zum Thema Einsatz der Bundeswehr im Inneren kam jetzt eine hastige Distanzierung von einer Äusserung des Gründers der schwedischen Piratenpartei.

Rick Falkving hat sich an ein ganz heißes Eisen gewagt, nämlich die Kinderpornographie. In einem Blogeintrag stellt er zur Diskussion, ob die gegenwärtige Vorgehensweise im Kampf gegen Kinderpornographie, welche den Schwerpunkt auf die Verfolgung des Besitzes von entsprechendem Material legt, wirklich hilfreich ist.
Seiner Argumentation nach behindert die Verfolgung des Besitzes von Kinderpornographie die Verfolgung der eigendlichen Straftaten. Was sich auf den ersten Blick widersinnig anhört, erscheint bei Berücksichtigung der Hysterie, was dieses Tehma angeht, nach eingehender Prüfung nachvollziehbar. In der gegenwärtigen Situation macht sich jemand, der z.B. im Internet auf kinderpornographisches Bildmaterial stößt, in dem Moment strafbar, in dem das Bild in den Cache des Browsers geladen wird. Selbst wenn er daraufhin Anzeige erstattet, setzt er sich u.U. strafrechtlichen Ermittlungen aus. Das mag durchaus ein Grund sein, den Fund derartigen Materials nicht zu melden, in Sorge um die sich evtl. daraus ergebenden Konsequenzen.
Weiterhin stellt Falkving zur Diskussion, was denn alles unter den Begriff Kinderpornographie fällt und als solches verfolgt wird. Denn entgegen der ersten Intention, dass es sich hierbei nur um sexuelle Vergehen gegen Schutzbefohlene handelt, fallen je nach Gesetzeslage des jeweiligen Staates auch ganz andere, teilweise konstruierte Handlungen in diese Kategorie, wie z.B.
    o Zeichnungen, Mangas, Literatur oder andere, rein fiktionale Werke
    o erotische Bilder, welche jugendliche Paare von sich selbst anfertigen oder sich gegenseitig schicken (sog. Sexting)
    o Pornographisches Material erwachsener Akteure, die durch Kleidung oder Aussehen als Jugendlich beurteilt werden (sog. Anscheinspornographie)
    o Bilder, welche Jugendliche "in nicht altersgemäßen Posen" zeigen, egal ob bekleidet oder nackt
    o normale FKK-Bilder mit "erkennbaren Geschlechtsteilen", die z.B. vor 30 Jahren in Magazinen abgedruckt wurden
 
Abschließend erinnert Falkving daran, dass mit der Begründung des Kampfes gegen Kinderpornographie bereits in der Vergangenheit Zensurversuche gestartet wurden, welche sich nachweislich auch gegen ganz andere Inhalte richteten und gegen die er sich in seinem Eintrag massiv ausspricht.

Er stellt als Quintessenz der genannten Punkte nun zur Diskussion, den reinen Besitz von o.g. Material nicht mehr unter Strafe zu stellen, sondern nur noch Verbreitung, Beschaffung und Herstellung strafrechtlich zu verfolgen. Hiermit hat er natürlich in ein Wespennest gestochen. Ohne sich mit den Inhalten seines Blogeintrages näher auseinanderzusetzen, brach ein Strum der Entrüstung los, verbunden mit dem Vorwurf, er würde sich für eine Legalisierung von Kinderpornographie aussprechen.

An diesem Punkt hat offenbar der Bundesvorstand kalte Füße bekommen und eine schnell zusammengezimmerte Pressemitteilung herausgegeben, worin man sich eilends von den Äußerungen Falkvings distanziert. Und das hat mich, ehrlich gesagt, massiv enttäuscht.
Denn, wie bereits gesagt, ich verbinde mit der Piratenpartei die Fähigkeit, Probleme differenziert zu betrachten, die Diskussion zu suchen und sich auch mit den Hintergründen zu einem Thema zu beschäftigen - und zwar, bevor man den Mund aufmacht. Etwas, das hier leider nicht geschehen ist. Und mit dieser Einschätzung stehe ich nicht allein, wie die zahlreichen Kommentare zu der Pressemitteilung beweisen.

Sicher, man kann zu Falkvings Thesen stehen wie man will. Aber was hindert uns daran, erstmal tief Luft zu holen und sich mit den fraglichen Äußerungen detailiert auseinanderzusetzen? Darin kann man sich durchaus gegen seinen Vorschlag aussprechen, solange man dies mit Gründen untermauern kann. Etwas, was erst im Nachhinein durch fachliche Analysen, wie z.B. von Udo Vetter oder in einem Gastbeitrag von Andreas Popp geschehen ist. Das wäre eigendlich Aufgabe des Bundesvorstandes gewesen, und da hätte man sich mit der Pressemitteilung durchaus ein wenig mehr Zeit lassen können.
Vor allem verstehe ich die Panik nicht - die schwedische Piratenpartei hat mit der deutschen außer dem Namen nämlich nichts zu tun, somit besteht eigendlich kein Grund, sich von Falkvings Thesen so explizit distanzieren zu müssen.

Ich weiß daß beim Thema Kinderpornographie die Emotionen hochkochen. Auch ich habe, allein aufgrund meiner Kommentare im Piratenpartei-Forum (wo im übrigen jeder schreiben darf) Emails bekommen, die unter der Gürtellinie sind und in denen man mich als Kinderficker bezeichnet hat. Aber gerade deswegen ist es doch notwendig, hier die Diskussion zu suchen, anstatt sich, ich muß leider sagen: feige, in Deckung zu begeben.

Sexuell motivierte Gewalt an Kindern ist mit das grausigste Verbrechen, dass man sich vorstellen kann. Das sage gerade ich als Vater. Aber wenn man etwas dagegen tun will, muss man die Täter fassen, die sich an den Kindern vergehen und diese Abscheulichkeiten auch noch aufzeichnen. Hier könnte man meiner Meinung nach bessere Erfolge erzielen, wenn die Recourcen, die derzeit auf die Verfolgung von Bildkonsumenten ausgerichtet sind, für die Ermittlung der Verursacher eingesetzt würden. Das ist ein Punkt über den man reden muß - abseits von Hysterie und aufgeheizten Emotionen.

"Der Besitzer dieses Dokumentes ist berechtigt, sich seines Verstandes zu bedienen, Informationen zu produzieren, replizieren und konsumieren, sich frei und ohne Kontrolle zu entfalten – in Privatsphäre und Öffentlichkeit."

Inschrift auf der Rückseite meines Mitgliedsausweises der Piratenpartei