Eintrag vom 29. Mai 2017
Während der vergangenen Tage haben in meinem Kreisverband mehrere Mitglieder ihren Austritt aus der
Piratenpartei erklärt bzw. diesen für die nahe Zukunft angekündigt. Es tut mir um so mehr
weh, weil es sich hierbei um langjährige Crewkameraden handelt, die sich in der Vergangenheit sehr
um die Partei und unsere gemeinsamen Ziele verdient gemacht haben. Dennoch - ich muss, wie alle
anderen Piraten auch - ihre Entscheidung akzeptieren. Und, um ehrlich zu sein, es ist mir lieber auf diese
Weise von ihrem Rückzug zu hören als, wie es manch andere Leute vorgezogen haben, einfach auf
"Tauchstation" zu gehen, nicht mehr auf Emails zu reagieren oder einfach still und leise die
Zahlung der Mitgliedsbeiträge einzustellen.
Ich möchte meinen ehemaligen Kameraden zurufen: ich bin nicht wütend oder sauer auf Euch. Ich
achte und danke Euch für Eure geleistete Arbeit, Euer Engagement auf politischer oder organisatorischer
Ebene und ich werde Euch bei uns im Kreisverband sicherlich schmerzlich vermissen. Aber nur Ihr allein könnt
(und müsst) diese Entscheidung treffen, von der ich weiß dass sie Euch sicherlich nicht leicht
gefallen ist.
Aus den Abschiedsworten dieser ehemaligen Mitglieder spricht eine gewisse Resignation, die sicherlich viele
in unserer Partei derzeit erfasst haben dürfte. Was sehr hoffnungsvoll begonnen hat, sieht sich nun
wieder auf den Ausgangspunkt zurückgesetzt. Der Verlust der Landtagsmandate ist sicher für manchen
schwer zu verkraften, weil wir uns nun wieder abseits jeglicher direkter politischer Einflussmöglichkeit
gestellt sehen und erneut ganz neu von vorne als außerparlamentarische Opposition beginnen müssen.
Hinzu kommt ein durch ehemalige Quertreiber und manch üble Nachrede ramponiertes Ansehen der Piraten
in der Öffentlichkeit.
Es ist nachvollziehbar dass deswegen einige von uns ihre Hoffnung auf eine Mitarbeit in anderen Parteien oder
auf eine Beteiligung bei NGOs setzen, um doch "noch etwas bewegen" zu können.
Dennoch muss ich von meinem Standpunkt aus sagen, dass dies der falsche Weg und die darin gesetzte Hoffnung
nur eine allzu trügerische ist.
Es ist egal, in welche Partei auch immer Ihr eintreten werdet: Ihr werdet dort nichts erreichen können.
Die "etablierten" Parteien besitzen eine starre, teilweise seit Generationen fixierte Struktur, eine
klar geregelte Hierachie. Um dort in eine "Entscheidungsposition" zu gelangen werdet Ihr Euch so
sehr an die bestehenden Seilschaften anpassen und Euch verbiegen müssen, bis am Ende von Euren Ideen
und Vorstellungen nur noch das übrig bleibt, was ohnehin in die vorherrschende Partei-Doktrin passt. Wenn
Ihr ausdauern nach oben buckeln und nach unten treten könnt, dann werdet Ihr dort vielleicht Karriere
machen - aber nicht wirklich etwas bewirken können. Und wenn Euch nur die Aussicht lockt, endlich nicht
mehr zu den "Wahlverlierern" zu gehören... dann ist dies nicht mehr als ein Selbstbetrug auf
Kosten Eurer ursprünglichen Visionen.
Auch in nicht-politischen "Nicht-Regierungs-Organisationen" werdet Ihr Eure Ziele nicht erreichen
können. Es bietet sich dort allein für Euch die Möglichkeit kleine Projekte umzusetzen, mit
einzelnen Aktionen temporäre Aufmerksamkeit zu erlangen. Doch am Ende kann auf diese Weise keine
dauerhafte Veränderung erreicht, sondern bestenfalls Symptome bekämpft und Schadensbegrenzung
betrieben werden. Politische Veränderungen sind nur durch politische Arbeit erreichbar. Was immer
Protestgruppen auch fordern, die politische Führung kann es sich leisten diese einfach zu ignorieren.
Das einzige, was Regierungsparteien (oder Parteien mit entsprechenden Ambitionen) beeindrucken kann, ist
politischer Gegenwind. Wenn ein Verlust von Wählerstimmen droht, dann bewegen sich auch große
Parteien und hängen ihr Mäntelchen in den aufkommenen Wind.
So war es mit uns Piraten und der Netzpolitik - Frau Merkel entdeckte Neuland und plötzlich brauchte
jede Partei einen "Netzbeauftragten", auch wenn dieser oft nicht einmal wusste was ein
"Brauser" überhaupt ist. Und so ist es heute mit der AfD, welche (leider) ziemlich erfolgreich
durch populistische-rechtskonservative Forderungen unsere Bundeskanzlerin wieder von dem vorherigen, eher
asylfreundlichen Politikkurs abweichen lässt.
Dieser Druck, der nur von den kleinen Parteien kommen kann, kann die großen Parteien zu einem Einlenken
zwingen. Sonst nichts. Und ja, ich stimme den Bedenkenträgern in unseren Reihen zu: wir Piraten sind von
dieser Möglichkeit, angesichts Umfragewerten zwischen 1 und 2 Prozentpunkten, leider wieder ziemlich weit
entfernt.
Eine Steigerung wäre gegenwärtig nur durch ein gestiegendes Bewusstsein in der Bevölkerung
für die Gefahren der staatlichen Überwachung und Kontrolle sowie der immer weiter ausufernden
Datensammelwut von Behörden und Wirtschaftsunternehmen möglich. Leider sind unsere Kernthemen
"Privatsphäre", "Bürgerrechte" und "Demokratie" angesichts der
panikschürenden Marktschreierei über "Flüchtlingsschwemmen" und "Terrorismus"
für viele Bürger offenbar nur von untergeordneter Bedeutung. Das ist etwas, vor dem wir nicht die
Augen verschließen können.
Es ist aber auch etwas, das uns nicht dazu bringen darf zu verzagen oder unser Heil in einer anderweitigen
thematischen Ausrichtung zu suchen. Wir Piraten sind derzeit die einzige Partei in Deutschland, die sich mit
diesen Problemen auseinandersetzt. Und auch wenn die meisten Menschen sich nicht von den Auswirkungen der
anhaltenden Entwicklung betroffen wähnen - sie sind unweigerlich in dem immer dichter gesponnenen Netz
von Überwachung und Kontrolle gefangen. Und gerade weil wir dies erkannt haben, dürfen wir unsere
Mitmenschen in dieser Situation nicht allein lassen.
Es macht keinen Sinn, eine "neue" Partei zu gründen, um den Malus unserer Vergangenheit hinter
uns zu lassen. Es macht auch keinen Sinn, die Ausrichtung der Piratenpartei zu verändern, um mehr
potentielle Wähler anzusprechen. Wir müssen nicht in Konkurrenz zu den bestehenden Parteien treten,
sondern eine Alternative darstellen. Und diese kann nur auf unseren Kernkompetenzen fußen. Wir dürfen
unsere Arbeit nicht von dem leider immer noch viel zu geringen Interesse der Öffentlichkeit abhängig
machen.
Sicherlich wäre es toll, wenn wir plötzlich wieder 10 bis 15 Prozent in den Umfragewerten erreichen
könnten - vor allem, wenn es dieses Mal nicht wieder nur hauptsächlich Protestwählerstimmen
wären. Aber das einzige, was uns mit unseren "sperrigen" Themen kurzfristig derart beflügeln
könnte, wäre (als Äquivalent zu Chernobyl oder Fukushima) ein digitaler Supergau - entweder durch
einen massiven Missbrauch gesammelter, personenbezogener Daten durch Unternehmen oder (im schlimmstmöglichen
Fall) durch Errichtung eines diktaturähnlichen Polizei- und Überwachungsstaates.
Beide Gefahren bestehen und sind durchaus real - sogar weitaus wahrscheinlicher als vor sechs Jahren zum
Zeitpunkt meines Eintritts in die Piratenpartei. Damals bin ich den Piraten beigetreten, um eben ein solches
Szenario zu verhindern. Und ich sehe die Notwendigkeit meines Engagements heute dringender gegeben denn je!
Ich will solche gravierenden Vorkommnisse nicht erleben - weil wir, wenn sie eingetreten sind, nicht mehr in
der Lage sein werden sie zurückzudrehen. Auf staatlichen oder privatwirtschaftlichen Servern über uns
gesammelte Daten sind genauso wenig sicher und beherrschbar wie es die Nutzung der Atomkraft ist - und zwar
wegen dem immerwährenden Einflusses des "menschlichen Faktors". Informationen, die vorliegen,
werden früher oder später missbraucht werden - sei es durch externe Kriminelle, die sich
widerrechtlich Zugang zu diesen Daten verschaffen, oder durch die sammelnden Stellen und Instanzen selbst, um
persönliche Vorteile zu erreichen oder bestehende Machtpositionen weiter auszubauen.
Die meisten Menschen sehen heute immer noch nur die (angeblichen) Vorteile der eigenen Bequemlichkeit und verdrängen
die Gefahren, die aus der eigenen Preisgabe persönlicher Daten oder staatlicher Rasterung resultieren.
Und immer weiter, mit sehr kleinen Schritten, wird die Schlinge um unseren Hals enger gezogen. Ursprünglich
zur Terrorbekämpfung eingeführte Maßnahmen werden mittlerweile zur vorbeugenden Bekämpfung
von Kleinstkriminalität abgerufen, in soziale Medien eingestellte Daten bis zur Grenze des
Möglichen kommerzialisiert und ausgewertet. Doch die meisten von uns stellen sich immer noch taub und
blind.
Wir Piraten haben deswegen eine Aufgabe und auch ein Mandat: den Auftrag der Menschen, die uns bei den letzten
Wahlen trotz aller Unkenrufe und schlechter Presse ihre Stimme gegeben haben. Sie setzen ihr Vertrauen in uns,
trotz Verlust von Parlamentssitzen weiter für unser aller Freiheits- und Bürgerrechte zu kämpfen.
Aufzugeben ist deswegen für mich gleichbedeutend mit Verrat an diesen Bürgern, die trotz allem ihre
Hoffnung in uns gesetzt haben.
Wir stehen als Menschen, welche diese Probleme erkannt haben, in der Verantwortung sie wieder und immer wieder
zu benennen und Lösungen zu entwickeln. Es ist unser Auftrag, auch außerhalb der Parlamente
diejenigen in unserem Land zu überzeugen, die immer noch ihre Augen vor dem drohenden Tsunami einer
allumfassenden Überwachung verschließen.
Ja, es erscheint zum aktuellen Zeitpunkt quasi unmöglich, dies bewerkstelligen zu können. Aber wenn
es einfach wäre, könnte es jeder tun. Wir müssen uns dieser Aufgabe stellen, gerade weil sie
unlösbar erscheint.
Denn wenn wir es nicht tun - dann tut es niemand. Und erst dann besteht wirklich keinerlei Hoffnung und
Aussicht mehr auf einen Erfolg.
In diesem Sinne danke ich heute auch ausdrücklich all meinen Kameraden in der Piratenpartei die trotz aller Hindernisse und
Hoffnungslosigkeit eben nicht aufgegeben haben! Lasst uns auch weiterhin standhaft bleiben
und das Richtige tun!
Denn nur auf diese Weise haben wie die Chance, unsere Ziele auch irgendwann tatsächlich zu erreichen.
"Unwahrheit ist so einfach, Wahrheit so schwierig."