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Eintrag vom 7. Januar 2017

Die plakativen, meines Erachtens nach illegalen Abschiebungen afghanischer Asylbewerber, die vor allem von Seiten der Innenminister und der bayerischen Staatsregierung betrieben werden, waren heute Thema einer Demonstration bei uns in Augsburg. Organisiert wurde die Veranstaltung durch den Augsburger Flüchtlingsrat, der bereits mehrere solcher Demonstrationen durchgeführt hat. Dieses mal war auch ich mit dabei.

 

Trotz klirrender Kälte (zu Beginn der Veranstaltung um 12:00 Uhr zeigte das Thermometer immer noch knackige -10 °C) hatten sich meinen Schätzungen nach zwischen 150 und 200 Demonstranten, Asylbewerber wie Bundesbürger, auf dem Augsburger Königsplatz versammelt. Die Teilnehmer waren bunt gemischt - ältere und junge Menschen, gutbürgerliche Leute und Mitglieder eines Motorradclubs, Engagierte von Flüchtlingsinitiativen und normale Passanten. Viele hatten Schilder und Transparente dabei, auf denen sie gegen die Abschiebung von Asylanten in ihre unsicheren Heimatländer demonstrierten und um Unterstützung für die Flüchtlinge baten.
Bevor der Demonstrationszug durch die Augsburger Innenstadt zog, gab es drei (wegen den vorherrschenden Temperaturen) kurze Redebeiträge - einer von der Initiative "Tür an Tür" über die Lage der Menschen in den angeblich sicheren Gebieten in Afghanistan, dann einer vom "Grandhotel Cosmopolis" über den gut integrierten, jedoch von der Abschiebung bedrohten Künstler Ahmad Shakib Pouya - und ein Bericht aus der Praxis der Flüchtlingshilfe. Das war mein Part, und den Text meines Manuskripts möchte ich nachfolgend wiedergeben:
 

" Liebe Anwesende,
 
mein Name ist Andreas Jung und ich bin derzeit Vorstandsvorsitzender im Kreisverband der Piratenpartei in Augsburg. Heute stehe ich allerding hauptsächlich als Privatperson vor Euch und möchte Euch von meinen Erfahrungen in unserem lokalen Flüchtlingskreis, in dem meine Frau und ich uns bereits seit mehr als einem Jahr engagieren, berichten.
 
In unserem Ort wurden vor über einem Jahr Menschen aus Afghanistan, der Ukraine, Syrien, Nigeria und Eriträa untergebracht. Wir haben diese Menschen kennengelernt und haben Anteil an ihren Schicksalen genommen. Wir sind einer Frau begegnet, deren Mann von den Taliban verschleppt und vermutlich getötet wurde, und die darauf hin mit ihren vier Kindern den Weg von Afghanistan bis Deutschland fast vollständig zu Fuß zurückgelegt hat. Wir haben ein junges Ehepaar kennengelernt, das mit ihrem Baby floh da der Mann - jahrelang als Kindersoldat zum Kampf gezwungen - sich vom Einfluss der Milizen seines Staates befreien wollte. Wir haben einen syrischen Freund gewonnen, der vor Rebellengruppen und dem Militär seines Landes floh, in einem völlig überladenen Schlauchboot die gefährliche Überfahrt über das Mittelmehr überstanden hat und seit nunmehr 18 Monaten auf seine Anerkennung als Asylbewerber wartet - getrennt von seiner im unsicheren Libanon zurückgebliebenen Frau und seines nach seiner Weiterreise geborenen Sohnes, den er noch nie im Arm gehalten hat.
Die Erfahrungen, die wir durch diese Menschen gesammelt haben, haben uns in großem Maße bereichert. Wir haben Erkenntnisse zum Leben in anderen Ländern, Kulturen und Religionen gewonnen, haben kulinarische Genüsse uns bislang fremder Weltregionen entdeckt, haben neue Einflüsse aus Kunst und Kultur in uns aufgenommen. Wir durften uns glücklich schätzen Menschen kennenzulernen, von denen wir viel über Mut, Willen, Selbstbeherrschung, Leidensbewältigung, Genügsamkeit und Dankbarkeit lernen konnten. Und aus diesem Grund kann ich heute hier aus meiner eigenen Erfahrung sagen: Diese Menschen, die in Not und Elend zu uns kommen, sind keine Gefahr für unsere Gesellschaft. Sie sind keine Terroristen und Verbrecher - zumindest nicht mehr, als wir Deutschen es selbst auch sind! Sie stellen vielmehr eine Bereicherung unserer Gesellschaft dar und können uns helfen, uns selbst in vielen Aspekten unseres eingefahrenen Lebens weiterzuentwickeln. In ihnen schlummert ein unglaubliches Potential für die Zukunft unseres Landes.
 
Umso mehr bestürzt es mich mitansehen zu müssen, wie aus parteitaktischen Gründen angesichts der anstehenden Bundestagswahl und dem Erstarken einer national-populistischen Bewegung plakativ und willkürlich Abschiebungen durchgeführt werden, die jeglichen Prinzipien der Ethik und der Menschenwürde, den Vorgaben der von der Bundesrepublik Deutschland ratifizierten Genfer Flüchtlingskonvention und den Grundwerten des von uns angeblich so hochgehaltenen, christlichen Abendlandes widersprechen.
Wir erleben, dass von Krieg und Terror heimgesuchte Staaten von unserem Innenminister ganz oder zumindest teilweise als >>sichere Gebiete<< deklariert werden, um die sog. >>Rückführung<< von Leuten zu rechtfertigen - in Länder, in die unsere Regierungsvertreter sich selbst nur unter massivstem persönlichen und militärischen Schutz begeben würden. Im Namen der inneren Sicherheit und der Terrorbekämpfung werden Flüchtlinge eben diesem Terror, der in ihren Heimatländern täglich das Zehnfache an Blutzoll fordert als die in Europa von fanatisierten Mördern verübten Attentate, sehenden Auges ausgeliefert.
 
Damit zeigen wir, unsere Politiker, unsere Gesellschaft nur eines: ein durch Furcht und postfaktische Propaganda befeuertes soziales Unvermögen.
Es wird auf die ernormen Kosten durch die Flüchtlingshilfe verwiesen, während gleichzeitig deutlich ärmere Länder als unsere reiche Bundesrepublik in der Lage sind, um ein Vielfaches mehr Asylsuchende aufzunehmen.
Es wird der Vorwurf der Wirtschaftsflucht und Leistungserschleichung erhoben, während jedes Jahr tausende Deutsche aus eben diesen wirtschaftlichen Gründen beschließen, in andere Länder zu übersiedeln und wir deren Versuche, dort Fuß zu fassen, begeistert in Fernsehdokumentationen verfolgen.
Es wird vor Überfremdung und gesellschaftlichem Identitätsverlust gewarnt von Leuten, die vergessen haben dass unsere deutsche Kultur selbst die Summe jahrhundertelanger Einflüsse verschiedener anderer Kulturen darstellt - und wir diese heute nicht mehr missen mögen.
Es werden Flüchtlinge als Kriminelle und Terroristen dargestellt, während gleichzeitig ignoriert wird dass der in ihren Ländern herrschende Terror und Krieg zum Teil die direkte Folge unserer eigenen, verfehlten Wirtschafts- und Außenpolitik ist - gegründet aus Großmachtsstreben und dem exzessiven Export von Rüstungsgütern und Überwachungstechnologie.
 
Die Folgen der aktuell völlig willkürlichen Abschiebepolitik sind gravierend: wir erleben, dass Menschen sich aus Angst vor der Rückführung in den Untergrund, in die Illegalität flüchten, sich selbst krimineller Machenschaften bezichtigen um der Abschiebung zu entgehen und sich sogar selbst verletzen oder umzubringen versuchen. Wie verzweifelt muss ein Mensch sein, um so zu handeln?
 
Wir, die wir heute hier stehen, demonstrieren für ein Ende dieser unmenschlichen Vorgänge. Wir fordern, Menschen Hilfe zu leisten, die uns um Hilfe bitten. Wir fordern ein Ende der Abschiebungen schutzsuchender Menschen und stattdessen eine Forcierung der Integrationsbemühungen.
Und das ist keine unlösbare Aufgabe: die Integration verschiedenster Kulturen in unserem Land ist machbar - wenn wir es wirklich wollen! Denn es kommt nicht nur auf den Integrationswillen der Zuwanderer an, sondern auch auf den Willen der Einwohner unseres Landes, den zu uns kommenden Menschen eine Chance zu geben und sie Willkommen zu heißen. Wir können die Herausforderungen der Zukunft gemeinsam bewältigen, über die Grenzen von Abstammung, Nationalität, Religion, Kultur, Hautfarbe, Geschlecht oder anderen Dingen hinweg, die uns zwar unterscheiden, aber nicht voneinander trennen.
 
Die Erkenntnis, dass wir hier alle für dieses Ziel eintreten wollen, macht mir großen Mut. Dafür möchte ich mich bei Euch hier und jetzt in aller Form und aus tiefsten Herzen bedanken.
"
 

Ich habe auf meinen Redebeitrag einigen Applaus bekommen, was vielleicht auch daran lag dass ich - trotz meines Vorsatzes, ruhig und sachlich vorzutragen - mich mit zunehmender Sprechzeit auch zunehmend erregter gezeigt und mich in die Entrüstung und den Ärger, aus dem mein Text geschrieben wurde, hineingesteigert habe. Mein Beitrag hat, noch als sich der Demonstrationszug bereits in Bewegung gesetzt hatte, zu hitzigen Diskussionen mit einigen Passanten geführt.
Eine siebzigjährige Dame machte ihrem (ziemlich allgemeinen) Frust lautstark Luft und übersah dabei immer wieder, dass sie und ich im Grunde genommen "auf der gleichen Seite" standen. Ein vielleicht 20jähriger kam plötzlich auf mich zu um mir zu sagen, dass ich ihm mit meiner Rede geradezu aus der Seele gesprochen hatte. Eine alte Frau erinnerte sich an ihre eigene Vertreibung 1945 durch die anrückenden Truppen der Sowjet-Armee nach Ost-Berlin und ihrer anschließenden Flucht aus der DDR nach Westdeutschland. Eine Dame mittleren Alters lies sich meine Visitenkarte geben und eine andere Frau diskutierte mir über die anstehende Entscheidung bei der diesjährigen Bundestagswahl.

Als Fazit dieses Tages kann ich mich der Hoffnung geben, dass es in diesem Deutschland - anders als es Medienberichte oder lautstarkes Gebrüll populistischer Blauhemden vielleicht vermuten lassen - immer noch viele Menschen gibt, denen es nicht an Einfühlungsvermögen, Mitgefül und Hilfsbereitschaft mangelt und die Entwicklungen differenziert betrachten und beurteilen können. Politisch scheint unser Staat vielleicht den Kurs in Richtung "National-Rechts" einzuschlagen - in den Herzen der Bürger jedoch nicht.
Sie wissen darum, dass ihr Einfluss auf die Geschehnisse nur gering ist - aber auch, dass es nicht darauf ankommt große Wunder zu vollbringen: jeder kleine Schritt auf dem richtigen Weg ist ein wichtiger Beitrag, und sei es nur für einen Einzelnen, dem man damit hilft und den man unterstützt.

Danke Euch allen für Euer Engagement, Euren Mut und die Hoffnung, die Ihr mir damit für die Zukunft gegeben habt!

"Die Grundlage des Weltfriedens ist das Mitgefühl."

Tenzin Gyatso