Eintrag vom 24. Januar 2016
"Haben Sie dafür eine Genehmigung?"
Die beiden Herren der Augsburger Sicherheitswacht waren sehr freundlich, als sie mich in der
Fußgängerzone ansprachen, wo ich bei dichtem Schneetreiben Flyer für unseren
Workshop
"Digitale Selbstverteidigung" an die Passanten verteilte. Ein Blick auf das Logo
reichte schon aus: "Ah, das ist was politisches. Dann ist es kein Problem..."
und mit einem Händeschütteln verabschiedeten sich die beiden von mir. Leider ohne einen
meiner Flyer mitzunehmen.
Insgesamt habe ich an diesem Tag, trotz widriger Wetterlage, gut 60 Flugblätter an den Mann
(oder Frau) gebracht. Insgesamt gestaltete sich die Information der Bürger in Augsburg jedoch
schwierig - es mangelt an öffentlichen Anschlagplätzen, wildes Plakatieren ist natürlich
keine Option und trotz Pressemitteilungen sahen die lokalen Zeitungen, Fernseh- und Radiostationen
offenbar keinen Anlass, über unsere Vortragsreihe zu berichten. Dass bei Minusgraden, scharfem
Wind und Schneefall die vorbeieilenden Menschen nur geringes Interesse hatten, kurz zu verweilen oder
die Hände aus den Manteltaschen zu nehmen, kann ich ihnen wohl kaum vorwerfen.
Trotzdem möchte ich die schwachen Besucherzahlen unserer ersten beiden Veranstaltungen letzte Woche
in Augsburg und gestern in Schwabmünchen nicht allein dem Winterwetter in die Schuhe schieben. Trotz
immer neuer Meldungen über den
Missbrauch gesammelter Daten,
die Etablierung technischer Methoden zur
Erfassung und
Auswertung von Informationen oder
beständig neuen, vehementen Forderungen nach einer immer weiteren Ausweitung staatlicher
Überwachungsmaßnahmen scheint
das Interesse der Menschen an Hintergründen und möglichen Gegenmaßnahmen aktuell an
einem Tiefpunkt angekommen zu sein.
Dabei scheint den Bürgern das Problem einer ungezügelten (und kaum noch kontrollierbaren) Erfassung und Auswertung ihrer personenbezogenen Daten bewusst zu sein: Umfragen zufolge sorgen sich die Leute durchaus um ihre Privatsphäre in den verschiedensten Lebensbereichen. Trotzdem scheint die Mehrheit nicht bereit zu sein oder sich bewusst zu machen, dass man selbst aktiv werden muss, um sich sein Privatleben auch wirkungsvoll bewahren zu können.
Woran mag das liegen? Ist es die
Lethargie der Masse, die
erst in Bewegung kommt, wenn der Daten-Supergau bereits eingetreten ist? Vielleicht - trotz vieler
internationaler Horrormeldungen sind
die Deutschen bislang vor den wirklich großen Krachern verschont geblieben, zumindest soweit diese
Fälle öffentlich bekannt geworden sind. Die Menschen sind offenbar erst dann in der Lage sich
aufzuraffen, wenn sie die Auswirkungen einer Entwicklung persönlich zu spüren bekommen. Auch
wenn es dann unter Umständen schon zu spät ist, um noch etwas dagegen ausrichten zu können.
Die Gefahren. die durch Verlust oder Missbrauch persönlicher Daten entstehen können, sind für
die meisten Menschen augenscheinlich zu "abstrakt". Ähnlich wie die Gefahren der Atomenergie,
die wir in Deutschland erst dann zur Kenntnis nahmen, als der Fallout von Chernobyl auf unsere Wiesen,
Städte und Dörfer niederging. Das Umpflügen der Äcker, der Austausch des Spielsandes
auf Kinderspielplätzen, die Kontrolle der Stahlungswerte bei Grundnahrungsmitteln hat den Blick den
Menschen nach Prypjat gelenkt und ihnen verdeutlicht
wie es aussehen könnte, wenn der Reaktor nicht in der Ukraine, sondern z.B. in
Grafenrheinfeld hochgegangen wäre.
Ein vergleichbarer Vorfall hat sich im Bereich des Datenschutzes in Deutschland noch nicht ereignet - zum
Glück. Denn - vergleichbar mit dem Uran eines Brennstabes - werden personenbezogene Daten über uns
heute bereits in einer Form "angereichert", dass
der große Knall eigendlich nur noch eine
Frage der Zeit sein kann. Nicht nur durch unser Konsumverhalten, allein durch unsere alltäglichen
Arbeiten, Tätigkeiten und Handlungen generieren wir eine wahre Datenflut, die von interessierten Stellen
von Staat und Wirtschaft begierig beäugt und ausgewertet wird. Durch die Verknüpfung scheinbar
harmloser Informationen ist es mittlerweile mit durchaus vertretbarem Aufwand möglich, Vorhersagen zum
Verhalten, Konsum und (politischer wie gesellschaftlicher) Einstellung eines jeden von uns zu treffen, deren
Trefferquote deutlich über den Werten der letzten Wahlbeteiligungen liegen.
Sich mit der Schutzbehauptung zu trösten, dass man selbst doch viel zu "unscheinbar und
gewöhnlich" sei, als das sich irgendjemand für einen interessieren könne, ist eine reine
Selbst-Lüge. Die genaue Analyse des Individuums eröffent für die Wirtschaft
ungeahnte Möglichkeiten der Konsumsteuerung und Verbraucherbeeinflussung. Je besser man den
Durchschnittsverbraucher kennt, umso besser kann man ihn in seinem Sinne manipulieren und durch subtile
Maßnahmen zum Kauf von Produkten verleiten. Für staatliche Stellen wie Ermittlungsbehörden
und Geheimdienste hat die "Durchleuchtung" der Bürger noch einen weiteren Reiz - ist ersteinmal
das "typische" Verhaltensmuster des durchschnittlichen Menschen definiert, kann man in einem weiteren
Schritt dazu übergehen, von diesen Regeln "abweichendes" Verhalten zu erfassen und zu
analysieren - am besten vollautomatisch durch
Computersysteme, die
Alarm schlagen wenn sich Otto-Normalbürger nicht so verhält, wie man es von ihm erwartet.
Das alles ist uns bereits bekannt, spätestens seit Whistleblowern wie Edward Snowden. Allem Bekunden nach bereitet dies auch vielen Menschen in unserem Land unbehagen. Dennoch scheint noch immer der "Schmerzlevel" zu gering zu sein, um sich aus seinem Sessel zu erheben und Maßnahmen zum Schutz seiner Privatsphäre zu ergreifen: durch bedachtsamen Umgang mit seinen Daten bei Einkäufen oder Nutzung elektronischer Medien, durch kritisches Hinterfragen von Datenerfassungen durch Hersteller oder Behörden, durch Verfügung zur Löschung oder Sperrung bereits gesammelter Informationen. Und in letzter Konsequenz natürlich auch durch Kontrolle der eigenen Abgeordneten und ggf. einer Neuorientierung im Zuge der nächsten Wahlen.
Allein schon die ersten Schritte sind heute so unglaublich einfach - umso mehr verwundert die Ignoranz und Ablehnung gegen heute sehr einfach zu bedienende und zugleich wirkungsvolle Maßnahmen wie dem Verschlüsseln der eigenen Emails oder der Absicherung des eigenen Rechners. Mich erinnert das an die Zeit, als die Gurtpflicht im Straßenverkehr eingeführt wurde - nur, dass der Staat und seine Behörden natürlich nicht mit Strafmaßnahmen drohen werden, wenn man ungesichert kommuniziert. Es sei vielleicht, man übermittelt Informationen, die im Amt befindlichen Entscheidungsträgern eventuell unangenehm sein könnten...
Wir haben in den nächsten Monaten noch drei weitere Termine unseres Workshops im Angebot - natürlich
kostenlos für unsere Besucher. Vielleicht können wir noch einige unserer Mitmenschen motivieren,
einfach unverbindlich bei unseren offenen Veranstaltungen vorbeizuschauen, damit wir sie überzeugen
können, dass es gar keinen so großen Aufwand darstellt, den ersten Schritte zum Schutz seiner
Privatsphäre zu tun.
Es wird wirklich Zeit dazu...
"Die beste Zeit, einen Baum zu pflanzen, war vor zwanzig Jahren. Die nächstbeste Zeit ist jetzt."