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Eintrag vom 8. Januar 2016

Ende November letzten Jahres wurde vom Landespolizeipräsident Schmidtbauer und im Nachgang durch den Innenminister Herrmann vollmundig angekündigt, zu Beginn des Jahres 2016 einen Pilotversuch in drei bayerischen Städten zu starten: dort sollen an "Brennpunkten besonderer Kriminalität" der Einsatz sogenannter "Bodycams" bei Streifenpolizisten getestet werden, um diese bei Erfolg später auch regulär bei Streifendiensten einzusetzen. Begründet wurde der Versuch mit dem Schutz der Polizeibeamten, die sich aufgrund zunehmender aggressiver Verhaltensweisen von Bürgern immer stärker gefährdet sähen. Unter den ausgewählten Testregionen waren nach Zeitungsberichten die Städte München, Rosenheim und auch Augsburg.

Als Pirat habe ich ein zwiespältiges Verhältnis zu staatlicher Videoüberwachung - vor allem angesichts der Tatsache, dass die bayerische Staatsregierung und ihre Ministerien gerne "Schnellschüsse" produzieren, es also bevorzugen, ungeachtet gesetzlicher Bestimmungen und ohne Rücksicht auf (Bürgerrechts-)Verluste vollendete Tatsachen zu schaffen. Der Hinweis auf die "guten Erfahrungen" dieser Maßnahme bei Versuchen in anderen Bundesländern lies mich vermuten, dass hier nicht nur die Eignung von Kameraaufzeichnungen getestet werden sollte, sondern unter anderem auch die Akzeptanz einer solchen Handlungsweise seitens der Bevölkerung.
Also war es für mich mal wieder Zeit, einen Brief an das Innenministerium zu schreiben und um die näheren Auskünfte zu bitten, die in der Pressemitteilung und der öffentlichen Berichterstattung nicht enthalten waren. Insbesondere wollte ich wissen

  • auf welcher gesetzlichen Grundlage dieser Modellversuch sowie der spätere reguläre Einsatz erfolgen soll
  • in welchem Umfang und Zeitraum der Modellversuch durchgeführt werden soll
  • wie viele Kameras beim Modellversuch und beim späteren regulären Einsatz verwendet werden sollen
  • welches Kamera- und Mikrophonmodell zum Einsatz kommen soll
  • wann und in welchem Umfang Aufzeichnungen stattfinden sollen
  • wer Zugang zu den gespeicherten Aufzeichnungen erhalten soll und durch wen aus welchem Anlass diese ausgewertet werden sollen
  • wie eine selektive Aufzeichnung (z.B. Herausschneiden von Teilszenen bzw. Löschen entlastender Aufnahmen) oder eine nachträgliche Manipulation technisch verhindert wird
  • wie lange die Aufzeichnungen gespeichert werden sollen
  • wie ein unberechtigter Zugriff auf die gepeicherten Datensätze ausgeschlossen wird
  • wie sich Bürger über von ihnen angefertigte Aufnahmen informieren, diese Einsehen und ggf. auf Löschung dringen können

Man sollte eigendlich davon ausgehen, dass diese wichtigen Punkte vor der Planung eines Modellversuchs abgeklärt worden wären. Umso mehr, da hier in erheblichem Umfang die Persönlichenkeitsrechte der betroffenen Bürger berührt werden, welche sich in der Öffentlichkeit durch eine filmend auftretende Polizeistreife nicht unbegründet unter einem nicht näher genannten Vedacht wähnen und dadurch eingeschüchtert und in ihrem Verhalten beeinflusst werden könnten.
In gewisser Weise ist dies auch das Ziel eines solchen Kameraeinsatzes, welcher nach den Worten des Polizeipräsidenten dazu dienen soll, gewalttätige Übergriffe auf Polizeibeamte bereits im Keim zu ersticken. Aus diesem Grund erbat ich auch nährere Angaben, welche die Notwendigkeit einer solchen Maßnahmen aufgrund gestiegender Gewalt gegen Ermittlungspersonen belegen können.

Die gestern bei mir eingetroffene Antwort bestand aus zwei DIN-A4-Seiten. Der zuständige Sachbearbeiter des bayerischen Innenministeriums bedauerte darin, mir im Grunde genommen nichts mitteilen zu können, da "hinsichtlich der näheren Ausgestaltung des Pilotversuches noch keine Festlegungen getroffen wurden". Man wisse weder was für Kameratypen zum Einsatz kämen, noch hätte die Bayerische Polizei für die Maßnahme ein Konzept erstellt, welches "insbesondere die rechtlichen, einsatztaktischen und organisatorischen Rahmenbedingungen", einschließlich des Umgangs mit dem angefertigten Videomaterial, regeln würde. Selbstverständlich würde man aber auf die "Sicherheit der Daten" allergrößten Wert legen.
Man versuchte mit der Zusicherung zu beruhigen, dass eine "flächendeckende Videoaufzeichnung" nicht stattfinden würde. Die Datenerhebung würde sich im übrigen auf geltendes Polizeirecht stützen. Zur Dokumentation der Notwendigkeit der Maßnahme schickte man mir noch einen Link zu einem Projektbericht der kriminologischen Forschungsgruppe der Bayerischen Polizei vom Mai 2015 mit.
Alles in allem übrigens ein sehr höfliches Schreiben, wie ich betonen möchte. Man hatte nur keine Antworten für mich.

Mal abgesehen davon, dass meine Befürchtungen bzgl. der "Schnellschusspolitik" in Bayern mal wieder bestätigt wurden, bin ich angesichts dieser leider nichtssagenden Ausführung des bayerischen Sicherheitsministeriums nicht unbedingt beruhigt. Wenn wir uns (unter Bezug auf das vom Sachbearbeiter zitierte Polizeirecht) in Erinnerung rufen, dass es in Bayern den Polizeibeamten schon heute unglaublich einfach gemacht wird, Bild- und Tonaufnahmen von (auch unbeteiligten) Bürgern zu Ermittlungszwecken anzufertigen und es gemäß Art. 33 I Nr. 2, II BayPAG schon als ausreichend erachtet wird, dass "die Erfüllung einer polizeilichen Aufgabe auf andere Weise gefährdet oder erheblich erschwert würde", sich andererseits die Polizeibeamten gegen Aufnahmen ihrer eigenen Person mit allen möglichen und unmöglichen Mitteln wehren, bleibt ein schaler Geschmack zurück.
Kleine Anmerkung diesbezüglich: wer sich in die Feinheiten des (bundesdeutschen) Polizeirechts zur Anfertigung von Videoaufnahmen einlesen möchte, dem sei dieser Artikel zur Lektüre empfohlen. Danach wird einem ersteinmal bewusst, zu welchen Gelegenheiten und Anlässen die Polizei Film- und Tonaufnahmen von Bürgern machen darf...

Und ein Anlass wird sich notfalls finden. Im Zweifelsfall die Begründung eines "Widerstands gegen die Staatsgewalt". Dieser Begriff umfasst nicht nur einen tätlichen Angriff auf Polizei- oder Vollzugsbeamte, sondern auch passive Aktionen im Rahmen von Einsatz- und Ermittlungshandlungen. Und hier wird es interessant, den die Einschätzung ob z.B. ein Widerstand gegen die Staatsgewalt vorliegt, liegt im Auge des betrachtenden Beamten (welcher in der Regel die vorliegende Situation zu seinen Gunsten beurteilt und danach ggf. Anzeige erstatten wird). Dies gibt auch der oben verlinkte Projektbericht mehr oder weniger umwunden in seiner Zusammenfassung zu.
Der Beamte kann sich selbst bei gesetzeswidrigem Handeln seinerseits auf der strafrechtlich sicheren Seite wähnen - ein Umstand, der auf das sog. "Irrtumsprivileg" zurückzuführen ist, welches dem Beamten ein rechtsmäßiges Handeln unterstellt, solange er zum betreffenden Zeitung der Ansicht war, im Recht gewesen zu sein. Was einen Polizisten möglicherweise dazu verleiten kann, jede nicht in seinem Sinne erfolgende Handlung der durch ihn kontrollierten Person als einen Akt des Widerstandes zu werten. Und zwar nicht nur im Zusammenhang mit einer Teilnahme an Demonstrationen (wo auch Faustschläge gegen einen am Boden liegenden vom Gericht als ein "angemessenes Mittel" betrachtet werden können), sondern auch bei Routineeinsätzen wie einfachen "Kontrollen". So kann es schon als Widerstand gewertet werden, dass bei einer Fahrzeugkontrolle der Beamte die Fahrzeugtür von Außen nicht öffnen kann - das soll bei den heute selbstverriegelnden Fahrzeugen übrigens gar nicht mal so selten sein.
Ach ja, und dann kommen noch Gegenstände hinzu, von denen sich Polizisten bedroht fühlen können. So kann schon ein schwerer Schuh ein "gefährliches Werkzeug" darstellen. Nicht zu vergessen der herrlich unpräzisen Begriff der sog. "Schutzwaffen", der Gegenstände wie Helme, Schutzbrillen, Regenschirme oder Lederhosen umschreibt, vor denen Polizisten sich anscheinend sehr fürchten.
Wie ich bereits belehrt wurde, besitze ich auch zwei dieser Schutzwaffen. Ich hoffe, dass ich beim Gassigehen niemals zufällig in die Nähe einer Demonstration komme...
 
Aber wie dem auch sei, eines verstehe ich nicht: das Thema ist doch nicht wirklich neu? Schon seit mehreren Jahren klagt die Gewerkschaft der Polizei und die Gemeinschaft der inneren Sicherheitsminister über einen Anstieg der Gewalt gegen die Beamten - allerdings (man beachte die Feinheiten der oben von mir verlinkten Artikel) ohne dies wirklich zweifelsfrei belegen zu können. Im Gegenteil, es besteht gerade aufgrund der augenscheinlichen Lagebeurteilung der involvierten (und damit nicht gänzlich unvoreingenommenen) Polizeibeamten die Möglichkeit, dass die tatsächliche Anzahl agressiver Handlungen gegen die Beamten abnimmt. Auch der oben verlinkte Projektbericht gesteht ein, dass die ermittelten Fallzahlen ab dem Jahr 2012 nicht mehr vergleichbar sind und die Tendenzen in einem so geringen Rahmen liegen, dass nicht ausgeschlossen werden kann, die festgestellten "Veränderungen könnten zufällig auftreten". Dennoch wurde bereits 2010 der Straftatbestand nach StGB § 113 verschärft. So schutzlos wie behauptet wird, ist die Polizei also bei weitem nicht.

Im Gegenzug sei die Frage gestattet: wie fühlt sich ein Passant in Gegenwart zweier Polizeibeamten mit Schulterkameras, von denen er nicht wissen kann ob und was sie aufzeichnen? Wie hoch ist die Chance, dass er in einer kritischen Situation auf die Einhaltung seiner Rechte bestehen oder sich für ihn irrsinnigen Aufforderungen widersetzen würde? Wohl wissend, dass im Zweifelsfall erst vor einem Gericht zu klären ist, ob ihm auch tatsächlich sein Recht zugestanden wird?
Überwachungskameras schaffen keine Sicherheit, egal ob sie auf Masten an öffentlichen Plätzen montiert sind oder sich auf den Schulterklappen von Streifenpolizisten befinden. Sie gewöhnen uns nur kritikloses, freundliches Lächeln an - ähnlich den Glücksdroiden in dem legendären Adventure-Spiel Floyd (das ich Euch bei dieser Gelegenheit gleich mal ans Herz legen möchte). Wo führt uns das hin - sollen wir bald auf der Straße aus Angst vor negativen Konsequenzen stets nur ein freundliches "Grüße, Bürger Vollstrecker" über unsere Lippen bringen können?
Und glaubt wirklich irgendwer, dass eine Einführung von Bodycams bei Streifenpolizisten zu mehr Respekt gegenüber Polizeibeamten führen würde?

Ich für meinen Teil bevorzuge eine andere, weniger dystopische Zukunftsvariante. Aus diesem Grund werde ich an dem Thema auch weiterhin dranbleiben. Wenn man im Staatsministerium trotz der Ankündigung derzeit absolut nichts über die Details dieses "Pilotprojektes" sagen kann - dann vielleicht in zwei oder drei Monaten?

Irgendwann sollten die Damen und Herren in der bayerischen Staatsregierung schließlich wissen, was sie tun.
 
 
 
Anmerkung vom 10. Januar 2016:
Zum Problem des § 113 (Widerstand gegen die Staatsgewalt) und meinem Kommentar bzgl. des freundlichen Umgangs mit den Bürgern Vollstrecker Polizeibeamten kommt einen Tag später gleich der passende Vorstoß der CDU: diese will den Strafbestand, unter dem Eindruck der Sylvester-Übergriffe von Köln, nun auf "ungebürliches oder respektloses Verhalten" gegenüber den Ordnungskräften ausweiten. Weiterhin soll auf Wunsch der schwarz-grünen Koalition in Hessen ein sog. "Schutzparagraph" für Polizisten eingeführt werden, welcher als Mindestmaß eine sechsmonatige Haftstrafe bei Zuwiderhandlungen vorsieht.
Für die Zukunft also der gute Rat: immer recht freundlich sein, wenn man mit einem Vollstrecker-Beamten spricht und immer schön wegschauen, wenn er sein Amt ausübt. Sie wollen doch schließlich kein Aufrührer sein, nicht wahr...?

"Aller Zwang fordert den Widerstand heraus."

Max Nordau